Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Haar, das er geküßt, heute! Und war das nicht der liebe Waldsonnenschein, der sich mit warmen Wogen über sie legte?
Selig, selig.
Sie schloß die Augen und hielt der süßen Wärme still, die sie umfing wie mit liebenden Armen und wie mit liebenden Worten zum Herzen drang.
Der Nachtwind hatte den Regen heraufgebracht. Ein paar Tage lang hing das hohe Städtchen wie ein Adlerhorst in den Wolken, und graue, undurchdringliche Fetzen hängten sich allenthalben vor die Fenster der Burg und drängten das Leben drinnen zusammen, daß es heimlich wurde, die Zimmer von winterlicher Traulichkeit erfüllt und traulich und lang die dunkeln Abende. Als aber eines Tages ein rascher Wind vom Süden kam und die Fetzen zerriß, leuchtete die goldenrote Ebene reingefegt von den Septemberdünsten mit heißen Farben nahe herauf, und dunkelblau ergoß sich der Oktoberhimmel.
An einem sommerlich warmen Morgen verließen Anna und Schlatter Regensberg. Herzlich wie von lieben Freunden schieden sie von der landvögtlichen Familie. Frau Margaretha küßte Anna wie eine Schwester: „Viel Glück, Liebe, viel Glück!“ und in ihren schönen Augen war eine kleine Feuchtigkeit. Als aber die beiden den Wagen bestiegen, warnte der Landvogt: „Seid mir schön fürsichtig bis morgen, wann ich nachkomm’, damit der gestrenge Herr Waser sich keine vorzeitigen Gedanken macht. Und vor allem, Herr Hofmeister, vergesset nicht auszusteigen vor den Porten, zu Vermeidung unnützen Aufsehens!“
Sie versprachen alles, und Schlatter lachte: „Wann Ihr den Freiwerber machen wollt, wie könnt’ mir bange sein!“
Aber der Landvogt zwang sein rundes Gesicht zu einiger Bedenklichkeit: „Immerhin, immerhin, glaubet wohl gar, es sei ein Leichtes, einem Vater sein Liebstes abzulätscheln und seinen Stolz, für einen jungen Springinsfeld, der noch keinen festen Boden unter den Füßen hat?“ Als er jedoch Schlatters plötzlich verdüstertes Gesicht sah, lachte er beschwichtigend: „Wird schon gehn, wird schon gehn, nur übermütig werden sollt Ihr mir nicht, vorher!“
„Nun ist es vorbei,“ sagte Anna wehmütig, als sie unter dem Kronentor durch die unebene Gasse hinunterpolterten. „Es war so schön!“
Aber Schlatter preßte ihre Hand: „Schön war es, ja, aber schön wird es sein auch fürderhin und immer schöner. Hast mir ja den Himmel aufgetan, du, und eben stehn wir erst unter der Pforten.“ Und als sie vom Städtchen niederwärts durch die einsamen Felder fuhren, zog er sie mit zärtlichen Händen an sich. Sie schwiegen und sahen sich in die Augen, ganz nahe, daß jedes sein Bild in der Pupille des andern gewahrte.
„Wann ich das gewußt hätt’,“ sagte er leise, „daß sich mein schlimm Gesicht einstmalen in diesen Augen spiegeln dürft’, wohl wär’ vieles anders gewesen in meinem Leben, schöner und reiner.“
„Still, still davon, nun ist es vorbei.“ Ein schmerzliches Lächeln ging um Annas Mund; dann zog sie sein Gesicht an ihre Schulter und streichelte es, wie man mit Kindern tut.
Schlatter aber fuhr fort: „Deine Augen, das ist wohl das Schönste auf der Welt. Klar, klar, wie ein tiefer köstlicher Bronnen, daraus die arm Seel alle Reinheit schöpft und alle Kraft, daß sie blank herfürgehet und gut wie am ersten Tag. Und alles, was wild und weh war, ist abgetan, wann man in diesen Quell getaucht.“ Und mit andächtigen Fingern strich er über Annas Hand.
Sie aber löste sich sanft aus seinen Armen. „Das liebe Regensberg,“ sagte sie ablenkend und beugte den Kopf, rückwärtsblickend zum Wagenfenster hinaus. Stolz und hell glänzte die kleine Stadt von der Höhe nieder, und vor dem Burgfried wie ein feines Feuer leuchtete der gelbe Gipfel einer Birke. „Wie das mich an Braunfels erinnert,“ sagte Anna lächelnd; „grad so steht auch dort das Schloß über der Weite, nur all’s gewaltiger, die Burg und das Land.“
„Ja,“ fügte Schlatter bei, „und das Schloß mit vielen mächtigen Türmen statt des einen stumpfen Klotzes.“
„Kennst du Braunfels?“ fragte Anna erstaunt und setzte sich in den Wagen zurück.
„Ja,“ entgegnete der andere kurz; sein Gesicht wurde hager, und eine seltsame Verschlossenheit malte sich darm. „Ich war mit Hans Schmid dort.“
„Du?“ Voller Verwunderung betrachtete sie ihn. „Und hast mir niemalen davon erzählt? Und weißt am End gar um jenen Auftrag, den der Junker mir verheißen und nun seiner plötzlichen Reis’ wegen nicht hat bringen
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