Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
können?“
„Wohl,“ entgegnete Schlatter düster, „aber in zweien Tagen kommt er zurück, dann mag er dir selber berichten.“
„Lieber möcht’ ich’s von dir hören.“ Eine plötzliche Unruhe und ein Befremden hatte Anna erfaßt beim Gedanken, daß er ihr etwas verschweigen konnte, und sie drang in ihn mit beweglichen Worten, bis er schließlich erzählte: In Braunfels hätten sie bei den gräflichen Herrschaften auch die Marquise getroffen, die, seit geraumer Zeit aus Italien zurück, sich eben anschickte, in die Heimat zu reisen, dieweil ihr solches auf Fürsprache einer hochmögenden Verwandtin und gegen Zusage eines völlig zurückgezogenem unauffälligen und schier verborgenen Lebens vom großen König zugestanden worden. Da sie nun aber solche Zurückgezogenheit von der Gesellschaft nicht hindern werde, ihren Neigungen zu leben und sie vielmehr beabsichtige, all ihre Zeit denen schönen Künsten und solchen Menschen, die darin exzellieren, zu widmen, habe sie den Wollishofer beschworen, nicht eher abzulassen, als bis er Anna bestimmt hatte, zu ihr nach Paris zu kommen, allwo in höherm Grad denn in Italien die Malerei einen unerhörten Aufschwung zu nehmen im Begriff stehe.
Stockend und mit vielfacher Unterbrechung kam dieser Bericht heraus, und Anna lauschte mit stockendem Atem. Einen Moment war ihr schier schwindlig. Sie mußte denken: Diese Nachricht, wann der Junker damals gesprochen hätte, der Himmel, hätt’ sie gemeint, wär’ zu ihr herabgestiegen, und jetzt: „Was meinst du dazu?“ sagte sie zögernd.
„Ich?“ Der andere warf den Kopf zurück, seine Augen wurden schwarz, und die Hände ballten sich: „Ich, wann ich mir dich dort denken müßt’, in der üppigen Stadt und mit all dem Künstlervolk, und ich denken müßt, wie du aufgehst in deiner Malerei und daß sie all deine Gedanken fressen würd’ und dein Herz und all’s — verrückt werden müßt’ ich, oder — eine Kugel durch den Kopf!“
Anna sah ihn groß an: War das nicht schön, die sprühenden Augen und die heißen Wangen, um sie, alles um sie. „Ich bleibe,“ sagte sie lächelnd, „und warte auf dich!“ Und während er sie in seine Arme schloß, voll Dankbarkeit und voller Jubel, kam ihr zu Sinn, daß sie schon einmal dieses Wort gesprochen: „Ich bleibe!“ und daß es ihr damals schier das Herz zerrissen hatte, heute aber ging es ganz leicht. War es nicht schön, dem Liebsten ein Opfer zu bringen und ihm die heißen Wünsche langer Jahre zu Füßen zu legen wie Blumen, die sterbend die süßesten Düfte geben? Und so war nun alles anders geworden. Leicht das Schwere, das Gewöhnliche besonders, das Kleine groß, und was flächenhaft gewesen und dünn, das hatte nun die Tiefe bekommen.
Eng verbunden saßen sie nebeneinander und blickten in den leuchtenden Tag hinaus. Die erste schwere Probe hatte ihre Liebe bestanden. Nun war sie nimmer so jung, und die Porte hatten sie wohl durchschritten. Schlatters Augen schimmerten. Er war wie befreit von einer Angst, und mehr als einmal erklang sein frohes Jungenlachen, während er voller Zuversicht an der Zukunft baute: Übers Jahr, wer weiß, da fuhren sie vielleicht wieder so zusammen durchs Land, aber nicht dem Abschied entgegen. Oh, der erste Winter, da man sich ganz gehörte, der Winter mit den stillen Stuben und den langen Abenden, wann im Kamin das Feuer sang und das Lämpchen der Nacht entgegenstarb und man lachte: „Stirb nur, wir brauchen dich nicht, wir fürchten keine Dunkelheit nicht; denn für uns ist nun der ewige Tag angebrochen, und uns geht die Sonne niemalen unter!“
Anna lauschte den leisen Worten, die wie eine ungewohnte Musik ihr betörend ans Herz gingen. Als sie aber wieder einmal zum Fenster hinausblickte, Regensberg zu, da waren Städtchen und Burg lange versunken in der waldreichen Weite.
„Wie schade,“ seufzte sie enttäuscht, „nun ist es verschwunden, und ich hab’s nimmer gesehen!“ Und es kam wie eine Traurigkeit über sie: eine Tür war zugefallen, etwas Herrliches war vorüber und würde solchergestalt nimmer wiederkehren.
----
1 Bescheiden die Jugend, ehrenvoll das Alter.
2 Doppeldeutig, (Wie) der Wolf in der Fabel; auch: Der Wolf, von dem die Rede ist. Ausdruck, wenn jemand unerwartet erscheint, von dem eben noch gesprochen wurde. Anm. d. Bearb.
7. Die fernen Ufer
Ein naßkalter Oktobertag ging zu Ende. Anna legte den Pinsel beiseite und betrachtete erstaunt und ein wenig betrübt ihr Werk. Das war nichts Rares,
Weitere Kostenlose Bücher