Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
Vom Netzwerk:
Liebesaugen der Blumen, hatte das alles nicht einen Sinn und ein Ziel? Und der Lindenblust — nun verstand sie Sibylla, nun fand sie sein Duften nimmer kühl und fromm, wohl aber schwer und betäubend, wie der drängende Atem der Sehnsucht. Oft war ihr, als ob sie durch tausend Fäden mit der ganzen Welt verbunden wäre, daß sie Geheimnis und Größe der Natur und die Schönheit ihrer Heimat zum ersten Mal ganz erfaßte, in diesem seltsamen Sommer, mit dem sie der Erfüllung des Herbstes entgegenreifte.
    Aber als die Zweiglein sich der reifen Fülle neigten, da stand ihr Bäumlein immer noch früchteleer.
    Kurz vor den Vakanzen, die ihr den Liebsten hätten bringen sollen, war der Brief eingetroffen mit der trüben Nachricht, daß Hans zwar die Stell am Gymnasio bekommen, die ihm lange zugesagt, daß er sie aber annoch mit einem andern teilen müsse, sodaß für ihn zwar mindere Arbeit, aber auch minderer Lohn herausschaue, solcher die Gründung eines Hausstandes noch nicht erlaubte. Es hieß also noch warten, noch ein ganz klein wenig warten; denn lang konnte es nimmer dauern: war er erst einmal da, so wollte er sich seinen Platz schon erobern.
    Warten, das war ein schlimmes Wort, sonderlich wann man die Brücken allbereits hinter sich abgebrochen hatte. Mit leisem Frösteln dachte Anna an ihre verlassene Malstube; die hatte ein mürrisches und unbequemes Gesicht bekommen über dem erwartungsvollen Sommer, wie ein erzürnter Schulmeister. Darin mußte sie sich nun wohl wieder einrichten, dieweil sie überflüssig geworden, allenthalben im Haus, wo die Schwestern sich mit neuen Kräften zielvoll zurechtgefunden. Aber dem Liebsten schrieb sie ein gutes Wort: „War es etwan keine schöne Zeit, dieses liebe Jahr mit denen glückhaften Briefen und da jedes, ohngeachtet des weiten Wegs, so zwischen uns lieget, sich dem andern nahe wußte? Wollen wir undankbar sein gegen den gütigen Gott und nicht lieber denken: Das Glück, je schwerer errungen, umso besser verdient!“
    Und als die Mutter bei der Nachricht mit zitternden Händen ihr feines Haar unter die Haube schob und ihr die Tränen in die Augen stiegen: „Armes Kind, muß ich’s wohl zum dritten Mal erleben!“ hatte sie lächelnd geantwortet: „Bin ich Euch allbereits über geworden? Laßt mich noch ein weniges da; wann ich geh’, es wird auch noch früh genug sein!“ und die andere hatte sich seufzend gefügt.
    Nur der Amtmann schien die Kunde gleichmütig aufzunehmen: „So wird dir denn, die verlassene Malerei wieder um ein weniges aufzunehmen, Gelegenheit geboten,“ sagte er ernst, und sein prüfender Blick hatte Anna das Blut in die Wangen gejagt, daß sie allsogleich hinging und an Herrn Lukas Hofmann schrieb, ein paar kleine Aufträg, wann sie nicht gar zu zeitraubend, würde sie wohl noch ausführen können. Und Herr Hofmann nahm mit Freuden den Vorschlag an, machte unverzüglich ein paar Bestellungen, äußerte überdies aber auch einen Wunsch: „Wann Euer Liebesglück und zart Herzensangelegenheit Euch etwan zu einer jener Schäfereien, solche Ihr früher mit soviel Kunst und Zierheit zu malen verstanden, zu inspirieren vermöchten, an Käufern würde es uns nicht manglen.“
    Das Wort gab Anna zu denken. So hatte sie es früher auch gemeint, daß die Liebe einen zu besondern und großen Werken sollte begeistern können, und aus der Liebe hatte sie ja auch einst einen Aufschwung und eignen Weg in der Malerei gefunden; aber jetzt war es so anders, und des Liebsten Eifersucht war nicht allein schuld, daß sie wie fremd geworden in ihrer eigenen Kunst. Da war etwas viel Größeres und Ungemeines. Wohl hatte Herr Werner recht, Liebe und Kunst, beide hatten nicht Platz in eines Weibes Herzen; doch daran war nicht die Enge des Herzens schuld, wohl aber die Größe der Liebe. Ja, jene helle Jugendliebe, die hatte sich schon vertragen damit. Wie ein frisches Morgenlüftchen war die, das die Augen klärt und die Kräfte stählt; nun aber war es gekommen wie ein Sturm, der Bäume entwurzelt und stille Wasser aufwühlt, und war gekommen wie ein Erdbeben, das Ströme versiegen läßt und Inseln auftauchen über neuen Gewässern. Und da stand sie nun in dieser neuen Welt mit neuen Augen und neuen Händen, zu denen ihre alte Kunst nimmer paßte. Wann sie jetzt an ihre Schäfereien dachte, bloß die Oberfläche hatte sie gemalt, den dünnen Schein bloß der Dinge. Jetzt erst waren ihr die Augen aufgegangen, und sie hatte gelernt, in die Tiefen zu blicken; aber

Weitere Kostenlose Bücher