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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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einsamen Malstube; da saß man drunten um den großen Tisch und schrieb und komponierte. Jegliche Woche ward ein kleines Schiedsgericht aufgestellt, sowohl über die Ausführung als den Text, den man zumeist selbst verfaßte in denen gebräuchlichen Hauptsprachen, und die vorzüglich befundenen Blätter wurden säuberlich beiseite gelegt. Anna aber setzte die schönen Kalligraphien in Kupfer, Marias ein wenig schwere nachdrucksame Schrift, des Vaters scharfe, durchsichtig ausgewogenen Zeilen und die eigenen klaren, schönzügigen Lettern; aber Elisabeths Blätter lagen zwischen den andern ziervoll, wie mit hundert Blumen bestreut.
    Und es war, als ob auch Frau Esther diese traulichen Abende wohltäten, an denen ihr gestrenger Eheherr zutunlicher und freundlicher erschien denn je. Ihre ängstliche Bekümmernis löste sich und schwand vor etwas, das schier einer Freudigkeit glich. Noch nie war man so beisammen gewesen, und Anna fühlte mit Staunen, wie eine Schranke, so die Malerin und die Mutter immer getrennt, fiel, seitdem sie Braut geworden. Zuerst freilich war es nur ein Klagen gewesen: „Mußte es grad der sein, wiederum einer ohne die feste Stell und gar so weit weg?“ Aber dann hatte sie sich doch darein gefügt, und nun war es wie ein stilles Einverständnis zwischen Mutter und Tochter. Man redete kaum davon; aber wann Anna bisweilen aus einem innigen Blick oder auch wohl aus einem verständnisvollen Wort spürte, wie ihre liebsten Gefühle bei der Mutter Nachklang fanden, war es jedesmal wie ein stilles Wunder und ein stilles heiliges Fest.
    Auch zu dem scheuen Heinrich suchte sie einen Weg; aber es war nicht leicht, dem unergründlichen Knaben beizukommen, der all sein schwärmerisches Innenleben hinter einem kühlen und abweisenden Äußern verbarg und sich nach Art jener zarten Pflänzlein, die mit fadendünnem Stengelchen und feinen roten Fränschen auf der Sumpfwiese von Rüti wuchsen, bei jeder kleinsten Berührung zuckend und herb zusammenschloß. Aber Anna ahnte, wie dieser unreife Geist von Zweifeln, Sehnsüchten und allerlei sonderlichen Phantastereien durchwühlt war und siech, und sie spürte, daß da kein Forschen am Platz war und kein Mahnen, nur warten mußte man, bis die Stunde kam, da er ihre stumme Sorge begriff und sich ihr offenbarte. Und sie wußte, daß es kommen würde; denn seit sie sehend geworden, war mit jedem Werke das Gelingen.
    Nur in der Malstube droben starb nach und nach die emsige Arbeit. Waren des Liebsten Briefe schuld daran, aus denen immer neu die eifersüchtige Sorge sprach, daß Anna durch die Ausübung ihres Berufes ermüdet und von ihm und ihrer Liebe abgezogen werde, oder kam es davon, daß die Aufträge mehr und mehr zurückblieben, dieweil man allbereits mit ihrem Fortgehen rechnete und ihr, die durch die Verlobung aus dem Besondern heraus ins gewöhnlich Alltägliche getreten, einen verminderten Anteil entgegenbrachte? Oder lag der Grund vielleicht tiefer? Wären nicht des Vaters ernstfragende, schier vorwurfsvolle Augen gewesen, sie hätte es kaum gewußt, daß ihr Pinsel so oft ruhte, und sie fühlte keinen Schmerz darüber — kaum eine kleine Wehmut — wann ihre Malstube oft ganze Tage verlassen war, gab ihr doch ihr neues Leben an allen Enden zu schaffen. Es kam der Frühling und brachte die Früchte des Winters. Elisabeth eröffnete ihre kleine Schule, und da sich schon in den ersten Apriltagen die große Stube gegen die Ankengasse hin, die man ihr eingeräumt, mit allerlei kleinen Leuten füllte, ging bald ein lustiges und lautes Leben durch das stille Haus, das manchen altverhockten Schatten und manche eingefrorene Betrübnis zu verscheuchen und schmelzen vermochte.
    Und dann kamen die Schreibvorlagen heraus in einem hübschen Gewändlein. Anna hatte selbst das Umschlagpapier gewählt; es zeigte auf sattrotem Grund viel güldene Amoren mit Füllhörnern und früchteschweren Kränzen und erschien ihr recht als ein Symbolum dieser warmen und reichen Zeit. Das schmucke Büchlein aber fand allenthalben so der guten Invention als vorzüglichen Ausführung wegen Bewunderung. Man hatte Ähnliches noch nicht gesehn, und manch freundliches Wort und erfreuliches Lob erreichte die kunstreichen Schwestern, denen sich nun auf eins auch die abseitige Maria zugezählt sah, und unter dem neuen Schein, der dadurch auf ihren mit soviel schmerzhaften Vorstellungen verbundenen Namen fiel, gestaltete sich auch ihr unversehens manches leichter und neu. Und dann wurden ihre

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