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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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zu einem Wirken geworden.
    Aber gerade dieser Brief brachte die große, schmerzlich erwartete Kunde.
    Als Anna ihn zu Ende gelesen, wußte sie einen Augenblick nicht, ob es unsinnige Freude war oder Schreck, was ihr das Herz in den Hals drängte und machte, daß die runden Fensterscheibchen sich vor ihr drehten wie Räder eines Uhrwerks; aber als die Rädchen wieder stillstanden und das weiße Winterlicht unbewegt hereinließen, wußte sie, daß es die große Angst war, die ihr die Brust zusammenschnürte, die Angst, Unrechtes zu tun. Da wäre nun das Glück, so nahe, daß man es mit Händen greifen konnte; aber davor stand die Pflicht und hielt ihr das grausame „Noch nicht“ entgegen.
    Was tun?
    Um Lichtmeß wollte er kommen — schnell, schnell; denn im Frühjahr hatte er mit Übernahme der Rektorstelle, die ihm unversehens, aber nicht unverdient zugefallen, dermaßen zu tun, daß an ein Reisen nicht zu denken war, dann hätte man warten müssen bis zu den Vakanzen; aber das konnte kein Mensch, deshalb lieber jetzt gleich, wann auch in aller Eile.
    War das ein Jubel in seinen Worten! Wie ein heißer Hauch ging es ihr über die Wangen, daß sie die Augen schließen mußte und vermeinte, seine Nähe allbereits zu spüren. Und er war ja auch so nahe — sie brauchte bloß zu wollen — vier Wochen kaum, und dann — war solches zu fassen!
    Aber — durfte sie wollen? Stand dort nicht der Bruder, ach, auf so unsicherm Boden, und war nicht ihre Wange noch feucht von seinen Tränen, und hatte sie nicht noch seine Bitte im Ohr, und ihr Versprechen, hatte es nicht groß und fest geklungen wie ein Schwur? Wie ein Schwur! Und nun wollte sie ihr Wort brechen?
    Und dann war noch das andere: Sollte sie mit leeren Händen Einkehr halten im eignen Haus? Und wann sie das nicht wollte, dann mußte sie sich dem Vater offenbaren, ja, und dann kam alles aus, und ihr Opfermut war dahin wie eitel Blendwerk. Und Heinrich — „An dich will ich glauben, an dich mich halten …“ War das nicht eines Ertrinkenden Greifen nach der rettenden Hand, und die wollte sie ihm entziehen, so nah am Ufer?
    Aber der Geliebte, hatte er nicht das erste Recht auf sie? Und ihr Herz, das mit solcher Gewalt zu ihm drängte, daß es fast sehr geworden darüber mit unregelmäßigen und unsichern Schlägen, konnte es die neue Qual ertragen? Und ein Zorn wollte sie ankommen gegen den Knaben, der auf verbotenen und unbraven Wegen vertan, was ihr nun zur Erfüllung fehlte.
    Doch dann schämte sie sich wieder einer Verzeihungskraft, die so gering, daß sie vor dem eignen Mißgeschick gleich dahin war. Und die Vernunft regte sich: Nachher gehört man sich ja für immer, unverlierbar, und was bedeuten die paar Monate vor dem ganzen langen Leben? Dem Bruder aber können sie zum Heil werden.
    Freilich dieser Frühling, den man zuerst zusammen erleben würde, das neue Leben in all dem Blust, und der große goldne Sommer — alle Macht der Welt konnte das nicht wiedergeben. Ihre Seele war bereit gewesen wie ein Myrtenbaum am tauigen Morgen. Mit tausend bebenden Knösplein harrt er der Sonne entgegen, daß sie aufbrechen möchten den tausend drängenden Strahlenkelchen, und konnte man der springenden Knospe das Blühen verbieten, wann die Sonne kam?
    Es war ein schlimmer Tag und eine schlimme Nacht. Aber am Morgen schrieb sie, daß es nicht sein konnte, jetzt noch nicht. Und sie sagte die Wahrheit, aber schonte des Bruders.
    Die Pflicht hatte gesiegt und die Vernunft; aber als der Brief weg war, fühlte sie sich als eine Geschlagene und Schuldige. Sie hatte gegen ihr eigenes Wünschen gehandelt und so, wie die tapfere Stimme es ihr eingegeben; aber da war eine andere Stimme, die tadelte und quälte und war nicht minder gut; denn sie kam aus dem Innersten und hatte keinen falschen Ton. Wo war nun das Gewissen? Wie einer, der sein Kind gestraft hat, vorsätzlich und mit Überlegung und im Bewußtsein, recht und nützlich zu handeln, und dem dabei doch elend ist, daß er sich schlecht vorkommt und sich schämt vor dem eignen Herzen, so war ihr zumute.
    Aber da sie nun gehandelt hatte, galt es tapfer sein und aus der Qual den Nutzen ziehen. Der Erfolg mußte für die Notwendigkeit des Opfers zeugen, so dachte sie und arbeitete und richtete sich ein in des Bruders Leben, daß sie Ordnung schaffen konnte in dem Wirrsal und die festen Balken zimmern zum neuen Fundament. Die eignen Qualen aber und des Liebsten Schmerz und Vorwurf trug sie standhaft und schließlich schier

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