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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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grün und gelb, die lustig nebeneinander fürsprangen, wie Triller des Buchfinks oder wie die hüpfenden Töne jenes Mailieds, das die Kinder vor den Haustüren sangen am ersten des Monats, wann sie mit dem Maibaum herumzogen und den Städtern verkündeten, daß draußen vor den Mauern der Maien aufgestanden.
    Ein Sonnenstrahl, der durch die leise bewegten Äste des Birnbaums herunterglitt, legte sich über Annas Gesicht. Sie schloß ein wenig die Augen und blickte unter den gesenkten Lidern hervor in die Ferne. Da zeigte sich ihr plötzlich eine seltsame Erscheinung: Zwischen den dunkeln, sonnenbestrichenen Wimpern hindurch sah sie die Welt wie in einen köstlichen saphirblauen Schleier gehüllt, märchenhaft und großartig. Es war, als ob der tiefe Himmel niedergesunken und alle Kleinlichkeiten der Welt in sich aufgenommen hätte. Die Zierlichkeiten waren verschwunden, das Unterschiedliche aufgelöst, alles wie umfaßt von einem mächtigen Willen, alles wie auf einen gewaltigen Grundton gestimmt, der tausend Töne zum Einklang brachte.
    Es war wie eine Bezauberung; aber nur für einen kurzen Augenblick, dann glitt der Sonnenstrahl weiter, und Anna sah wieder klar. Aber dennoch, war nun nicht etwas von den blauen Schleiern hängen geblieben? Sie beugte sich vor und schaute aus weitgeöffneten Augen erstaunt, als ob sie die Welt zum ersten Mal erblickte. Daß der Ütliberg, der dort drüben über dem tiefblauen See aufstand, blau war an solch duftigen Tagen, fast so blau wie See und Himmel, das hatte sie früher wohl auch gesehn; aber sonst, war ihr nicht eben noch die Welt bunt wie ein Maibaum erschienen mit harten lustigen Farben, weiß die Bäume und gelb und grün die Wiesen und grün der Wald dort drüben am Hang? Aber das Estherlein mit weißem Gesicht und roten Lippen und braunschwarz das dichte Haar, und so würde sie es auch gemalt haben, bunt und hell und aufgeklärt. Aber nun? Schwammen nicht die weißen Gipfel der Birnbäume mit blauen Lichtern im Himmel und lagen nicht blaue Schatten auf Estherleins schwarzem Haar und auf dem hellen Gesicht, das sie eben erhob, blaue Schatten, ganz leicht wie ein zarter Schmelz? Und drüben auf dem Wald und allenthalben, war es nicht, als ob ein feiner Hauch über allem lag, liebevoll alles Gegensätzliche verschmelzend, wie der Odem Gottes!
    Sie mußte tief aufatmen. Die von den herben Wohlgerüchen der tausend Blütchen durchstäubte Luft ging ihr würzig in die Brust wie ein feiner Maitrank. Die Luft wie ein würziger Maitrank! Anna staunte wieder — hatte sie daran nie gedacht, daß das etwas war, die Luft, etwas, das man fühlen konnte, das uns die Brust wonnig füllte, und etwas, das man sah! Und was man sah, konnte man das nicht auch malen?
    Sie sprang auf, ihr Herz zitterte wie unter der starken Freude einer plötzlichen Erkenntnis.
    Die Luft, die weiche blaue oder die goldig durchsonnte oder die feuchte, silbrig durchwebte, sie war wie die Liebe Gottes, die Gegensätze verbindet und alles umhüllt wie mit zarten gütigen Händen. Aber ihre Malerei, war sie ihr nicht deshalb so kalt vorgekommen und liebelos, weil sie die Dinge nach der eignen Kenntnis und gleichsam nackt hingestellt? Wann man nun aber das malen konnte, was sie mit plötzlich geöffneten Augen sah, dann mußte alles anders werden: die Kunst kein bloßes Contrafet der Dinge, zu einer Offenbarung mußte sie alsdann werden, zu einem Symbolum jener Liebe, die alles vereint.
    Worte des armen Giulio fuhren ihr durch den Sinn und wie er einst über Herrn Werner gespottet: „Wann Tiziano Engel malt, dann steigen sie aus dem Himmel nieder, mit blaugüldnem Gefieder aus dem blaugüldnen Schoß; aber Meister Werners Flügelknaben sind mit unsichtbaren Schnüren an Papierwolken aufgehängt.“ Anna blickte in den Himmel. Engel? Gewiß keine rotbackigen Kinder mit Vogelflügeln; wie jene halbverflüchtigten Wölklein, die dort gen Abend zogen, müßten sie gebildet sein, aus blauen und rosigen Lichtern, zärtlich enttaucht der unendlichen Bläue und halb noch mit ihr verschmolzen.
    Anna fuhr leise zusammen. Die beiden andern standen vor ihr, und das Estherlein lachte: „Als ob du Gesichte hättest, so siehst du aus!“
    „Es war auch so etwas,“ sagte Anna leise, und dann suchte sie ihnen davon zu erzählen mit noch unklaren und überstürzten Worten; aber das Estherlein begriff sie dennoch.
    „O du,“ rief es und fiel Anna um den Hals, „das ist gewiß grad eine Entdeckung; nun wirst du so etwas wie

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