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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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ein Kolumbus in der Malerei und dann wirst keine schäbigen kleinen Helglein mehr malen, aber etwas ganz Großes und Herrliches!“
    Anna wehrte ihr; des Mädchens Überschwang beängstigte und ernüchterte sie. „Ach, was meinst,“ sagte sie fast bekümmert, „da müßt man vor allem arbeiten, viel und lang, bevor etwas würde, ja — und dann …“
    Sie hielt plötzlich inne; das Estherlein hatte sie losgelassen und stand nun heiß vor ihr, und die blauen Augen sprühten: „Ja, und dann, dann wär’ der Herr Liebste nicht zufrieden und der Eheherr erst recht nicht; denn der will doch nichts anders als aus der großen Malerin eine kleine Hausmutter machen!“ Sie stampfte auf den Boden und ballte die Hände, daß die Blumenstengel knisternd zusammenquetschten. „Meinst, ich hab’s nicht gesehn, wie du deine feinen Plan hast liegen lassen und hast wieder geringer Werk herfürgeholt und bist immer langweiliger geworden in deiner Arbeit, immer öder!“
    Anna war blaß geworden: „Schäm dich,“ sagte sie streng; „du weißt, ich will solches nicht hören, das verstehst du nicht.“
    Aber die andere ließ sich nicht beirren: „Ich bin auch kein Kind mehr,“ rief sie, „und so viel versteh’ ich: Die einten und die meisten, die sind wohl gut für die Heirat! Das Enneli, wie der Spatz im Weizen sitzt das in der Eh’; aber der Rudolf? Aus einem geiststarken und feurigen Jüngling ist der ein breiter Pfarrherr geworden, daß man meinen sollt, das Feuer wär’ all abgetan und erstickt in lauter Zufriedenheit. Aber warum hat er sich alsdann ein neu Taubenhaus bauen lassen auf die alte Scheuer, mit einem rechten Gemächlein dahinter und einer inwendigen verborgenen Treppe, daß es die Bauern nicht gleich sehen, wenn der Herr Pfarrer halbe Tag dort oben verbringt mit seinem Viehzeug? Liebhaberei! So alt bin ich auch und so witzig, um zu merken, daß derlei nichts anders als schäbige Abläuf für die großen Leidenschaften. Ja, so: ein Ablauf für alles Große und Ungewöhnliche, das ist die Ehe, und darum passest du nicht dazu, Anna, und erst für den — den — tausendmal zu gut bist für ihn!“
    „Estherlein!“ Heinrich ergriff das Mädchen heftig bei der Hand, und da erst sah es, daß Anna ganz weiß war, mit merkwürdigen großen Augen. Es hielt erschrocken inne, und dann schossen ihm auch schon die Tränen hervor:
    „Sei nicht bös, Anna,“ sagte es kleinlaut, „ich hab’ dich drum so lieb, und du reust mich so.“
    Anna versuchte zu lächeln: „Geh, Kind, und sag nie mehr so etwas.“
    Sie schickte die beiden um ein weniges voran, dann folgte sie ihnen. Das Gehen fiel ihr fast schwer, so müde war sie auf einmal. Ob die Welt da draußen in tausend bunten Zierlichkeiten glänzte oder in himmlischer Bläue schwamm, was bedeutete es ihr jetzt? Sie wußte nur das eine, daß des Estherleins wilde Worte einen Ton in ihr geweckt, der sündhaft war für eine, die den Bräutigam erwartete.
    Aus den hellen Wiesen glitt nun der Weg in den Wald hinunter. Die grünen Schatten schlugen tiefatmend über ihnen zusammen. Anna blieb einen Augenblick stehen. Sie schloß die Augen und sog den moosigfeuchten Geruch ein. Waldduft, der war so voller Erinnerung; er mußte ihr den Geliebten an die Seite zaubern, daß sie selbander diesen verschwiegenen Pfad wandelten und sie ihm abbitten konnte.
    Aber da geschah es ihr, daß sie sein Gesicht nicht zu finden vermochte. Giulios Züge stellten sich davor, und Lux’ brennende Augen erschienen; aber sein Antlitz wollte sich nicht formen. Es war wie ein Bann: Auf kurze Momente sah sie seine Augen, sein Haar, sie hörte auch wohl den Ton seiner Stimme; aber dann war es wieder vorbei und floh vor den Gesichtern der andern und wollte sich nicht zum Ganzen fügen.
    Anna erschrak. Solches war ihr in letzter Zeit etwa vorgekommen, daß sie seine Gegenwart nicht leicht gewann, aber noch nie so beklemmend wie jetzt. Sie dachte nach: Kam es vielleicht vom Frühling? Die fröhliche zwitschernde Jahreszeit glich ihrer großen Liebe wenig, die der reifen goldenen angehörte. Vielleicht war es das helle Buchengrün, das die Erinnerungen aus frühen und maienhaften Zeiten so mächtig heraufführte, daß sie die Gegenwart verdeckten. Aber hatte es in den andern Maien nicht auch Buchengrün gegeben, und war ihr da solches vorgekommen? Immer hatte der Geliebte neben ihr gestanden, so klar und so deutlich, nicht einmal zu rufen brauchte sie ihn. Aber das andere: Hatte er nicht in einer

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