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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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schlimmen Verzweiflung geschrieben in diesen Tagen: „So lange Trennung, es ist nicht gut. Die alten süßen Erinnerungen, schier zu Tod gedacht sind sie, so oft hat man sie durchgekostet, man hätte Neues erleben sollen. Ich hätt’ Dich unter den Blütenbäumen haben mögen, nun welkt der Pracht ungenossen, und das will mir fast die Brust versprengen. Oft aber auch hab’ ich ein plötzliche Angst, daß der allzu straff gespannt Bogen lahm werden könnt’. Doch will ich nicht daran glauben, solcher Gedanke ist wohl aus der Höll geboren.“
    Ja, die lange Trennung. Und plötzlich fiel ihr bei: Das mit der Erkenntnis vorhin, das war vielleicht auch solch eine Versuchung der Hölle, daß sie einen Augenblick lang alles vergaß und von sich warf, wie in einer Berauschung, die mit ihm nichts zu tun hatte und mit ihrer Liebe.
    So war es wohl: einen Augenblick hatte sie ihm nicht mehr gehört, und deshalb hatte sich das geliebte Gesicht ihr entzogen. Das war die Strafe. Sie atmete fast erleichtert auf. Und da sah sie ihn plötzlich wieder vor sich, wie er auf dem Mäuerchen gesessen, damals, als ihr zuerst seine Stimme zum Herzen ging; oh, so deutlich sah sie ihn, die Strähne fiel ihm in die Stirn, daß er fast knabenhaft schaute, aber die Augen waren dunkel, und um den Mund lag es herb, schier schmerzlich. Und nun hörte sie auch seine Stimme, ganz lieb und weich, und wie sie nun mit leisen Füßen über den weichen Waldboden schritt, fühlte sie da nicht seine Hand an der ihrigen mit zartem Druck, daß ein Schauer über sie ging und ihr Herz stockte?
    Als sie die andern wieder erreichte, konnte sie dem geknickten Estherlein ohne Zwang zunicken, mit einem ruhigen, fast frohen Lächeln. Sie wußte wohl, das wilde Kind war nicht schuld an ihrem Schmerz, der Feind saß anderswo, und wann sie ihre Liebe ungekränkt lassen wollte und die Ruhe des Herzens wahren, dann mußte sie jene Stimmen fliehn, die das ander, das einstige Ziel ihres Lebens anriefen.
    Indes konnte sie es nicht hindern, daß sie von diesem Tag an die Welt in einem neuen Lichte sah und daß ihr bislang auf das Kleine und Einzelne gehetztes Auge allenthalben in der Natur nach den großen Zusammenhängen suchte, nach den Geheimnissen des Lichtes und der Farbe. Und bisweilen, wann sie unter mildem Frühsommerhimmel die Welt in zarten und schmelzenden Tönen sah, silbern umdampft der Berg und die reifen Wiesen wie von blaßvioletter Seide überwogt, oder wann der Hochsommer Feld und Himmel mit goldigen Pinseln malte, dann kam sie etwan ein heißes Verlangen an, eine Gier fast, irgendwie dieser Betörung von Licht und Farbe und den seltsamen Gesichten Gestalt zu verleihen. Doch sie wies die Versuchung jeweilen von sich, standhaft aus der Kraft ihres sehnsüchtigen Herzens. Ihre Malerei aber hatte sie kurz nach jenem Maientag, sobald das schwarze Kästchen seinen Inhalt wieder besaß, endgültig beiseite gelegt. Sie hatte es mit trüben, doch unschmerzlichen Gefühlen getan, als ob sie ein lange Totes hätte begraben müssen. Denn das war ihr aus der neuen Erkenntnis klar geworden: Was sie in den letzten Jahren geschaffen, war keine lebendige Kunst mehr gewesen, bloß gewohnheitsmäßige Arbeit, die Hände allein hatten geschafft, derweil die Seele auf den Pfaden der Liebe Neuland eroberte. Und also hatte sie am unrühmlichen Ende mit den stolzen Planen ihres Lebens abgeschlossen, ohne Schmerz, denn die blutwarmen Wünsche des Herzens waren darüber hinausgewachsen. Und diese letzte Wartezeit war nicht mehr qualvoll wie die frühern; denn vom sichern nahen Glück beschienen, ging sie schnell vorüber, wie in einer sanften Betäubung. Oft meinte Anna, daß die Welt ihr nur deshalb so neu vorkam und in diesem weichen aufgelösten Farbenprunk sich zeigte, weil in ihr selbst alles weich war und aufgelöst und voller Farben. Sie konnte träumen wie ganz junge Mädchen und konnte sich tausendfach und unter tausend bangen Wonnen die eine große Stunde des Wiedersehens ausmalen. Wann würde er wohl kommen? Würde sie es wissen, ganz genau, oder würde er sie überraschen? Und welches würde das erste Wort sein und wie der erste Blick? Alles in ihr war Erwartung.
    Aber als sie eines Abends, da sie mit dem Ölkrug vom Keller heraufstieg, im dunkeln Gang unvermutet mit einem Manne zusammentraf, der mit stattlichen, fremden Umrissen vor dem flackernden Treppenlicht stand, und dieser sie mit des Liebsten Stimme anredete, erschrak sie dermaßen, daß ihr der Ölkrug aus

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