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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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das besänftigte Kindlein in die Wiege legt, und erhob sich.
    „Willst du mir nicht einmal etwas von deiner Malerei zeigen, Anna?“ Er hatte immer noch dieselbe stille Stimme.
    „Was ist wohl aus denen Entwürfen geworden, so du mir früher einmal gezeigt? Es war wohl etwas Seltsames, vom Tod oder so, aber gewiß voll Bedeutung.“
    Anna sah ihn erstaunt an: „Aber, Schatz, die Entwürf — sie aufzugeben hab’ ich dir ja versprechen müssen, und so tat ich auch.“
    „So, so!“ Er strich sich über die Stirn: „So ernst war’s doch wohl nicht gemeint.“
    Anna sprang auf, ihr Gesicht färbte sich. „Nicht, nicht ernst gemeint? Und ist mir doch nicht gar leicht gefallen, glaub’s nur!“
    „Ich glaub’s,“ antwortete er nachdenklich, „nicht leicht gefallen, ich glaub’s, das war wohl auch eins von denen Opfern, die du mir gebracht.“
    „Opfer?“ Anna sah ihn erstaunt an. „Davon redet man doch nicht, wann man sich liebhat.“
    Aber der andere schüttelte den Kopf schier eigensinnig: „Ja, ja, Opfer, und wie viele! Das mit Paris, wann ich nicht gekommen wär’, eine große Meisterin wärst wohl jetzo, von Königen belobt, und dann das lang Warten und das Ungewisse und all’s, und weißt, das kommt nicht umsonst, die Schatten unter den Augen und die schmalen Wangen und die müde Stirn.“
    Anna wollte ihm wehren und seinen Worten; aber er fuhr unbeirrt fort in einem selbstquälerischen und harten Ton: „Allweg gewiß, mir fällt das zu; aber weißt, man sollt’ keine Opfer bringen, nichts Gutes kommt da heraus, nimmer nichts Gutes. Und grad hier drücken sie auf mich wie eine Last. Meinst, ich seh’ es nicht? Der Vater und Heinrich, als einen Räuber sehn die mich an, der ihnen das Best nimmt. Wenn du wüßtest, wie mich das wurmt. Und dann die Leut: ‚Unsere Malerin nehmt Ihr uns weg! Das ist nicht recht von Euch, und habt ihr Sorg, so eine gibt’s nicht eine Zweite!‘ Herrgott, daß ich es aushalten soll in dem engen Nest und in der engen Stube da mit der Opferluft!“
    Er stieß einen Stuhl, der ihm zwischen die Finger geraten, mit Ungestüm von sich und schritt erregt im Zimmer auf und ab.
    Anna sah ihn erschreckt an; aber dann kam es wie ein Mitleid über sie, und sie suchte ihn zu beschwichtigen, daß dies doch alles Redensarten seien und dumm Geschwätz, daß die Leute sie ja nichts angingen, sondern allein ihre Liebe, mit der sie so bald schon, in dreien Wochen schon, entfliehen konnten aus all der Enge. Aber das Haus und die Stube, wann es ihn bedrückte, auch jetzt schon wollten sie hinaus, einmal in die liebe Gotteswelt hinaus, wie damals in Regensberg, da sie so glücklich gewesen. Und sie schlug ihm vor, am andern Tag, da ja der zwanzigste des Monats sei und also des Bruders Hochzeits-und ihr eigner Glückstag, selbander nach Zollikon hinauszugehen. Oh, wie schön das sein mußte, allein in der schönen Welt und einmal einen ganzen Tag draußen, vom Morgen bis zur Betzeitstunde, und wie gut das seinem erregten und erhitzten Gemüt tun mußte!
    Er stimmte bei: „Ja, ja, das wird gut tun!“ und ward plötzlich wieder ruhiger und heller und versprach, sie morgen außerhalb des Lindentors zu erwarten, damit die Leute kein unnützes Geschwätz anstellten, wann sie zwei so allein übers Feld ziehen sahen.
    Als Anna andern Tags unter dem hochgelegenen wuchtig getürmten Lindentor hervortrat und ihr der dunstige Septembermorgen mit einer breiten Helligkeit entgegenwallte, mußte sie stillstehen, so feierlich und groß dünkte sie dieser Augenblick, da sie gleichsam auf der Scheide zwischen Vergangenheit und Zukunft stand; denn war dieser kleine Ausflug nicht das Vorspiel des großen, der sie dem neuen Leben zuführte? Und lag dieses Leben nicht ebenso hell vor ihr wie der Morgen, der hinter dünnen Schleiern soviel verheißungsvollen Glanz und duftige Bläue barg? Ja, nun kam es, nun kam es, und dort unten, wo die großen Linden standen — sie trugen allbereits viel Herbstlaub auf breiten Ästen — dort harrte ihrer der Geliebte. Schnellen Fußes wollte sie hinuntereilen über die Grabenbrücke dem engen Hottinger Pförtchen zu, das den Weg durch den Schanzenwall ins Freie führte; aber da schaute sie der Totenhof an, der mit seinen stillen Kreuzen dem Lindengraben anlag, und es war wie ein Mahnen und Aufforderung, auch der Vergangenheit ihr Recht zu geben an solchem Glückstag.
    Sie wandte sich zur Rechten, öffnete die Gittertüre und ging mit gedämpften Schritten durch

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