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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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nur, daß etwas aufhört; was nachher kommt, seh’ ich nicht.“
    „A bah,“ — Frau Susanna wiegte den Kopf mit gutem Lächeln — „der Herrgott wird uns Sonnenschein geben und Regen, dort wie hier, verlaßt euch darauf; etwas Neues gibt’s nicht, und jeder trägt seine alte Haut zu Grabe!“
    Anna riß den Faden vom Rocken, daß es leise krachte; dann erhob sie sich und legte die volle Spule Frau Werner in die Hand: „Das ist nun wohl das Letzt, so ich Euch spinnen durfte.“
    Frau Susanna betrachtete die regelmäßigen Fäden: „Fein, fein, genau und ohne Fehler, wie alles, das aus deiner Hand kommt, Anna. Die sollst behalten und zu etwas Besonderem aufheben — vielleicht an die erst Windel für dein erst Kindlein!“ Sie lachte leise, aber Anna errötete und warf den Kopf zurück: „Oder zum Leinwat für das erst groß Bild, darin ich über die Miniatur hinausgehe.“
    „Was zum Teufel,“ rief Herr Werner erbost, „über die Miniatur hinaus! Ist das ein Wort für die Lehrjüngerin eines Josephus Werner?“
    Aber Anna lachte begütigend: „Nur im Umfang, mein’ ich, Meister, nur im Umfang! Ich hab’ oft ordentlich ein Gelüste, einstens einen großen Pinsel zu führen mit schneller, weiter Hand, sonderlich, wann mir recht froh ums Herz ist oder — recht weh.“ Gepreßt stieß sie das letzte Wort heraus, daß es fast wie ein Schmerzenslaut in einer plötzlichen Stille versank. Alle schwiegen und sahen Anna an, die schlank aufgerichtet mitten im Zimmer stand mit glänzenden, verwachten Augen.
    Frau Susanna erfaßte ihre beiden Hände: „Was wird deine Mutter zu dir sagen, Kind! Du bist so anders geworden in den vier Jahren, größer und“ — sie lächelte — „auch sonst anders. Eine starke große Tochter hat sie bekommen, die ihr helfen wird und das Leben verschönern.“
    Anna drückte Frau Werners Hände: „Ja, ja, anders schon — oh, es war eine schöne Zeit hier, so schön! Ihr habt viel an mir getan, ihr alle; der Liebgott …“ Aber plötzlich stürzten ihr die Tränen in die Augen, daß sie mit einem erschreckten „Gutnacht!“ aus dem Zimmer floh.
    Und die andern lauschten ihr nach, wie sie mit flüchtigen Füßen die Treppe hinaufeilte. Keines sprach ein Wort. Herr Werner wandte sich ab und trommelte mit erregten Fingern gegen das Fenster, daß die runden Scheiben leise klirrten in ihren Bleirahmen, und aus der dunkeln Ecke des Zimmers drang Sibyllas Schluchzen herüber.
    Frau Werner fuhr sich mit der kräftigen Hand über die Augen:
    „Ja, ja, so ist’s nun, dahin und vorüber! Weiß Gott, mir ist, als ob uns der gut Geist verließe mit dem Mädel. Doch ihre Leut können sie auch brauchen jetzt, nötiger als wir, und das geht nun allem vor.“
    Aber Herr Werner drehte sich mit zornigem Gesicht in die Stube zurück: „Daß sie mir sie nur nicht erdrücken mit ihren häuslichen Sorgen, parbleu, eine Sünd gegen die heilige Kunst wär’s, eine blutige Sünd!“
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    1 der Sage nach der zweite König von Rom, der seinen Anordnungen mehr Gewicht verlieh, indem er vorgab, daß er sich mit der Nymphe Egeria beriet. Anm. d. Bearb.
    2 frz.: Taugenichts. Anm. d. Bearb.

4. Zum grauen Mann
    So ein weicher, schwerverhängter Dezembertag, wann der Himmel tief steht und die Flocken niederfallen, still und groß und unablässig, fast kein Tag, ein Dämmer bloß zwischen Morgen und Nacht, und wann sich einmal eine Helle zeigt irgendwo am Himmel, so ist es nur ein milchiges Licht und für kurze Zeit nur, ein Blick bloß, wie von einer Mutter, die den Vorhang von der Wiege hebt: „Schläfst du noch?“ und ihn dann sachte wieder fallen läßt mit einem Lächeln: „Sum, sum, ist dir nicht wohl unter deiner Decke?“ Und still wie in einer Wiege sind die Menschen in ihren Häusern; die Wärme tut ihnen wohl, wenn draußen die kühlen weißen Schleier fallen, und sie fühlen, daß es etwas Köstliches ist, so in der warmen Stube zu sitzen, beisammen, und nichts da ist, was hereindringt und einen hinausruft in die Weite. Denn die Welt hat keine Weite mehr, ist selbst so eine stillverschlossene Stube geworden ohne Türen und ohne Wege.
    Anna schob ihren Tisch ans Fenster. Es war zu wenig Helligkeit da drinnen in der großen dunkeln Stube. Die zarten Farben erstarben ihr unter dem Pinsel, und die Augen schmerzten vom scharfen Zusehen. Es hätte eine weiße Stuckdecke da sein sollen wie in Meister Werners frohmütiger Werkstatt, und ein helles Getäfer, solches das karge Licht nicht also

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