Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
sie: „Eure Zeit habt Ihr ausgenutzt wie kein anderes, und viel hätt’ ich Euch nimmer zu sagen gehabt. Füglich könnt Ihr nun auf eigenen Füßen stehen, und Ihr habt Euch Eurer Kunst vor keinem zu schämen. Freilich, fertig ist der wahre Künstler nie und bleibet vielmehr immer ein Lehrjünger vor der Natur sowohl als vor der großen Kunst. Und eines bedürfet Ihr noch zuvörderst: Paris oder Italien — das sollt Ihr niemalen vergessen. Denn wenn ich Euch auch manches geben konnte und wohl, ohne überheblich Sprechen, mehr denn irgendeiner, die Welt konntet Ihr in Werners Malstube nicht sehen, und ohne sie kommt kein ganzer Künstler zustande.“ Und noch eines hatte er ihr ans Herz zu legen: „Vergesset niemalen, daß die Kunst ein ganzes Herz will; wenn aber das Frauenzimmer einem Mannsbild darin Platz gibt, dann zieht sie alsobald aus, maßen ein Weibesherz zu eng, um beides zu fassen.“ Anna erschrak zuerst über diese Worte; aber während er ihr von den Schicksalen so mancher Künstlerin erzählte, die in einer unglücklichen Leidenschaft oder einer glücklichen Ehe ihre Kraft verloren, von der unseligen Anna Rosa, die an der Eifersucht des Gatten kläglich zugrunde gegangen, von Properzia de’ Rossi, die in ihrer Blüte am Liebesgram starb, und von Sibylla Merian, die erst nach der Auflösung der Ehe ihre künstlerische Kraft zurückgefunden, dachte sie an Lukas und wie unter ihrer Liebe auch ihre Kunst aufgeblüht war, und da schienen ihr Herrn Werners Worte wenig glaubhaft. Sollte es nicht Ausnahmen geben? Sollte sie nicht beides vereinen können, die große Liebe und die große Kunst? Oh, sie fühlte sich ja so stark, nichts war ihr mißlungen bis heute, warum sollte ihr nicht auch dieses Schwerste möglich sein?
Am Tag vor ihrer Abreise traf Lukas ein. Er kam frisch und aufgeräumt aus Basel zurück und voller Pläne. Herr Hofmann hatte ihn mitsamt seinen Anliegen aufs beste empfangen, hatte nicht allein Herrn Werners Miniaturen mit Jubel aufgenommen, sondern auch Annas Schäferbildchen mit großem Staunen und Bewunderung betrachtet, einen stattlichen Erlös dafür versprochen und mit viel Vergnügen sich den Namen der jungen Malerin gemerkt. Aber auch Lukas war nicht leer ausgegangen; vielmehr versprach sich Herr Hofmann von seinem neuen Ätzverfahren besten Erfolg und hatte sich deshalb des jungen Erfinders gleich versichert. Den sehr günstigen unterschriebenen Vertrag, der Lukas auf längere Zeit hinaus in Herrn Hofmanns Dienst stellte, legte jener dem erstaunten Herrn Werner nicht ohne Stolz vor: „Und das Schönste, mein neuer Dienst hält mich nicht etwan in Basel fest, sondern wird mich der Reihe nach durch alle großen Städte führen.“
Mit schmerzlichem Staunen gewahrte Anna, wie leicht jenem das Scheiden wurde, derweil ihr der Abschied so schwer auflag. Auch die Nachricht von Annas Abreise erschreckte ihn nicht sonderlich: „Da werd’ auch ich nimmer lang zögern,“ sagte er leise zu Anna; „denn dann ist nichts mehr, was mich hier hält.“ Nur, daß sie so schnell ging, am andern Tage schon, das tat ihm leid. „So sehr hatte ich mich gefreut auf diese Tage.“
Die Abschiedsstimmung lag schwül wie mit schweren Flügeln über dem kleinen Kreis, als die paar Menschen, die, mehr als die Jahre des Zusammenseins, vereinte Arbeit, geteilte Freude und gemeinsam ertragenes Leid aneinander geschlossen hatten, am letzten Abend beisammen saßen.
„So, Kinder, da wären wir also am Ende, und sachte tröpfelt nun alls auseinander,“ sagte Herr Werner mit schlecht verstelltem Humor und erzählte dann, daß auch er nun sich entschlossen, im Herbst mit seiner Familie nach Berlin überzusiedeln.
„Weiß der Himmel, wie’s uns dort geht und ob der güldene Berg, so man mir verspricht, nicht am End als ein güldener Sarg sich erweiset; aber meine Freud hier hab’ ich auch verloren, und etwas wagen muß man, wenn man nicht den Schimmel ins Gehirn kriegen will, solcher schließlich nicht allein unter ratsherrlichen Baretten gedeiht.“
„Ja, etwas wagen!“ Lukas richtete sich hoch auf und reckte die langen Arme, daß die Muskeln hervorsprangen, und ein schneller, heißer Blick schoß zu Anna hinüber, die schweigend hinter ihrem Spinnrad saß. „Etwas wagen und hinein in den Wirbel und Kampf und Sturm, nur keine Stubenluft nicht und kein still Warten, sonsten muß man ersticken!“
Aber Christoph, der Anna gegenüber am Ofen saß, schüttelte trübsinnig seine Mähne: „Ich weiß
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