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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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neidisch verschluckt hätte wie das strenge dunkle Braun. Und doch, war dieses geräumige Gemach nicht schön? Wie samtig die matten Wände und dazwischen die glänzenden Nußbaumtüren mit den leuchtenden Messingbeschlägen; oben waren sie gewölbt in einem stattlichen Bogen, und es war erwartungsvoll, sie zu öffnen, weil man ein Besonderes dahinter vermutete, und wenn man sie schloß, dann war das ganze Draußen verbannt, und es wurde heimlich in dem Raum und ein wenig feierlich.
    Als ihr die Eltern zuerst dieses schöne Sälein anwiesen: „Dies ist nun dein Reich, darinnen du fürderhin schaffen sollst,“ was war das ein Jubel! Da erst hatte ihr Leben hier eigentlich begonnen. Vorher — ja, da war alles trüb und weh; Maria so beängstigend, fast grauenhaft in ihrer wortlosen Verzweiflung, und die Mutter krank, und an ihrem Bett Elisabeth in Tränen und tausend Ängsten um ihr Leben, und sie, die Neueingetroffene, mitten drin, unbeholfen und entfremdet, ach, doppelt fremd um der heimlichen Liebe willen …
    Damals hatten Pinsel und Farbe Ruhe; aber ihre Seele war wie gepeitscht von Selbstvorwürfen und Sehnsucht und unterdrücktem Schaffensdrang. Erst als sich dieses Zimmer ihr öffnete, wurde es besser, und sie konnte wieder zu sich kommen und arbeiten. Freilich war es auch hier zuerst anders, als sie geglaubt. Eines Tages gingen die Aufgaben aus, denn die Vaterstadt hatte keine Aufträge für sie. Man wartete auf Anerkennung von draußen, derweil sie gehofft hatte, mit den heimatlichen Erfolgen hinausdringen zu können. Wäre nicht Herr Lukas Hofmann gewesen, sie hätte ihre gute Kunst in der eigenen Heimat feilbieten müssen oder verdorren lassen. Wie anders sie sich das gedacht hatte, damalen, als sie an dem stolzen, glitzrigen Wintertag die Vaterstadt zuerst wiedersah und sie von allen Zinnen und Türmen und von jeder blitzenden Limmatwelle ein freudiges Willkomm zu lesen vermeinte.
    Aber nun ging es auch so, und die Sendungen, die fleißig nach Basel wanderten und ihr jeweils herzliches Lob und schönen Erlös eintrugen, die brachten Ansporn und Freude genug.
    Nur heute wollte es nicht recht gehen mit der Arbeit. Oder war es vielleicht schon gestern so oder auch länger schon? Ach, die Tage waren kurz geworden und dunkel.
    Anna öffnete das Fenster und wischte den Schnee, der sich halbmondförmig in den Bleirahmen auftürmte und die alten runden Scheiblein überzog, herunter, und dabei dachte sie, daß man hier neue Fenster einsetzen sollte, wie man sie nun vielerorts sah, hellere, mit großem und durchsichtigem Glas. Dann blickte sie hinaus. So still war alles, wie ausgestorben und verweht; denn auch der Schritt der wenigen, die durch die Gasse gingen, versank lautlos im tiefen Schnee. Der Brunnenturm am Ende des kleinen Gäßchens, das just vor ihrem Fenster sich aufrichtete, stand mit überhängender weißer Mütze da, wie eine Bürgersfrau im Kirchengerust, und feine Schleier verhüllten alles Fernere, so emsig fiel der Schnee. Nur das Haus über der Gasse lag nüchtern, fast nackt vor ihren Augen, mit unverhüllten Farben und Flächen; denn so schmal war der Raum, der ihr Fenster davon trennte, daß auch der dichteste Schneefall nur spärliche Flocken hineinsandte. Oh, daß man sie hätte entfernen können, durch ein Zauberwort, diese Mauer mit den neugierigen Augen, daß der Blick nur um ein Geringes weiter gewesen wäre und sich mit dem beengten Atem nicht immer wieder schmerzhaft an dem zudringlichen Gegenüber gestoßen hätte!
    Seufzend schloß sie das Fenster und setzte sich wieder an ihren Tisch. Ein wenig heller war es wohl geworden. Sie betrachtete prüfend die begonnene Arbeit und verglich sie mit der Vorlage, dem Ölbildnis eines dicken Basler Ratsherrn, das sie in Miniatur übersetzen sollte. Dann nahm sie den silbergestielten Pinsel wieder auf und ließ ihn mit einem leichten Karmoisin in haarfeinen Strichlein über des alten Herrn lange Nase gleiten. Aber plötzlich hielt sie entmutigt inne. Man sollte kein Konterfei von sich machen lassen, wenn man solch feistes Gesicht hat, daß die Augen und alles Edle verschwemmt werden, und eine so lampige rote Nase! Scharf und jung sollte ein Gesicht sein, dann wär’ es eine Lust zu malen. Mit einem einzigen Pinselstrich zog sie auf dem Papier, worauf sie ihre Hand zu legen pflegte, ein eigenwillig geschnittenes Profil mit scharfer Nase und hervortretendem Kinn.
    „Lux …“
    Und plötzlich wußte sie, daß es weder die Dunkelheit des Tages

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