Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
verlasse und sich fürder vor Dir auch äußerlich meine Straße verlieren wird.
So leb wohl, Du Reine, Kühle, und halt dich inskünftig fern von Menschen, so ein heiß Herz haben und heiße zugreifende Händ, und halt Deine Augen wohl in acht, daß sie kein Feuer entzünden, solches Deine zärtliche Seele nicht ertragen kann.
Zum letzten Mal Dein Lux.“
Ganz langsam hob Anna die Lider. Ja, was war nun das? War der Wintertag ins Zimmer getreten, daß ihr weiße Schleier vor den Augen fielen? Und saß da nicht etwas auf ihrem Herzen und stach hinein, ganz tief, daß ihr Mund wimmerte und Maria entsetzt aufsah, ah, mit so schrecklichen schwarzen Augen — oder war das gar nicht Maria, was dort saß hinter weißen wogenden Schleiern mit den furchtbaren großen Augen und mit der weißen Flamme auf der Stirn? Und nun kam es näher … Anna sprang auf: Fliehen, fort! Der Boden wich unter ihren Füßen; aber nun öffnete sich doch die Tür, und nun fiel sie hinter ihr ins Schloß, und nun war Anna in ihrer Kammer, allein, und konnte ihr Gesicht in den kühlen Kissen ihres Lagers verstecken, daß keiner es hörte, wie es verzweifelt aus ihrem Herzen stieg, und keiner es sah, wie es aus ihren Augen brach — all die ungeweinten Tränen langer schmerzhafter Wochen …
„Tut es so weh?“ Anna fühlte eine warme Hand auf der ihrigen, und als sie sich umwandte, sah sie in Marias Gesicht. Das war nicht gramvoll und zerrissen wie sonst, sondern hatte einen weichen und guten Ausdruck. Anna suchte ihre Tränen zu verbergen. Aber die Schwester schüttelte den Kopf: „Wein du nur, Kind; dafür ist man jung, daß man den Schmerz ausschütten kann. Später geht’s nicht mehr, und dann kriecht er nach innen und frißt das Herz. Ja, und dann kommt der Vogel mit den schwarzen Schwingen und kreist immerzu, immerzu, gerade über dem Kopf, und weiß man nie, wann er herabstößt.“ Sie setzte sich auf Annas Lager und streichelte sachte ihr feuchtes Haar. „Wein du nur, Kind, Tränen, aufgelöste Schmerzen — Wolken müssen zu Regen werden, wann die Sonne wieder scheinen soll.“
Anna legte ihre beiden Arme um Marias Schultern. Wie wohl es tat, die dunkle Stimme und die gute, beschwichtigende Hand! Oh, diese da, die kam nicht mit leeren Trostesworten, die kannte beides, die Liebe und den Schmerz. Sie drückte ihr heißes Gesicht in Marias weichen Hals und weinte still vor sich hin. Und Maria sprach weiter, ganz leise, als ob sie mit sich selber redete, und mit langen, tiefatmenden Pausen:
„Der Brief — ich hab’ ihn gelesen — oh, das tut weh, das hätt’ mir auch weh getan, wann mein Jacob mir so geschrieben hätte, damals — und wär’ doch ein groß Glück gewesen; denn dann wär’s nie gekommen, das Furchtbare … Die Liebe — zuerst, ja, da wandelt man im Licht, und alles ist rein und hell; aber dann, aus dem Licht wird ein Feuer, und das ist nimmer so hell und ist rot und heiß — und wenn erst die große Flamme da ist und man sie nicht stillen kann — ah, Anna, wann die große Flamme da ist und man sie nicht stillen kann … Bei uns, da geht es wohl lange, wir sind kühl gemacht, und liegt ein still Wasser in unserer Seele, das ist klar, und viele Flammen kann es löschen. Aber die andern, die Armen — da ist nichts von kühlen Gewässern, alles liegt trocken und heiß wie die Heide im Sonnenbrand, und kommt nun das Feuer, dann gibt’s kein Aufhalten mehr, bis alles brennt und alles zu Grund geht.
Die große Flamme hat mir meinen Liebsten zerstört.
Wir brauchen so wenig — ein lieb Wort und ein guter Blick — und wann die Händ sich berühren, ganz zart nur, mit den Fingerspitzen bloß — ah, da sind wir selig und wünschen nichts anderes mehr — aber sie, immer mehr wollen sie, immer mehr, und wenn man’s nun nicht geben kann, weil man’s nicht geben darf, weil die Welt es verbietet — dann ist das Unglück geschehn.
Hab’s ja nimmer geahnt, daß er verdürsten gemußt. Nur brav wollt’ ich sein. Und als er kam in jener Nacht — es war schon früh am Tag, aber draußen noch schwarz, da hört’ ich einen Stein an meinem Fenster und eine Stimme, und als ich hinableuchtete und ihn unten stehn sah im schmalen Gäßlein, barhaupt und ohne Schuh, und wußte, daß er so von Baden hergelaufen war, mitten in der kalten Nacht, da hab’ ich mich gefürchtet vor dem Wahnwitzigen, und als er dann bat — mit solcher fremder wirrer Stimme, daß mir das Herz zitterte — ‚Laß mich herein, Maria, sieh, es
Weitere Kostenlose Bücher