Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
und verstand und sich eins dem andern nahe fühlte, was brauchte es mehr? Aber Lux schien anders zu denken. Eine merkwürdige Wildheit war oft an ihm, eine Spannung und Aufregung, die er nicht selten an Christoph ausließ. Was aber Anna am meisten auffiel und sie fast erschreckte — er arbeitete ungleich, zerstörte oft das eben Geschaffene oder gab ein angefangenes Werk mit leichtsinnigen oder düstern Worten wieder auf. Und als sie ihn einmal voller Besorgnis zur Rede gestellt, hatte er ihre beiden Hände genommen und sie gedrückt, so fest, daß sie hätte schreien mögen, und dann hatte er seltsam gelacht mit gequälten Augen: „Zeig einem Verdürstenden den Quell: Sieh, da sprudelt er, ganz nah und so hell und kühl, schad’ nur, daß ein Abgrund dich davon trennt! Und dann wundre dich, wann die Qual ihn zu Boden wirft! Verstehst nicht, daß ich’s nicht aushalten kann so?“
Aber bald darauf konnt’ er wieder froh sein und etwas ganz Liebes sagen, das so schlimme und rätselhafte Worte auslöschte.
Einmal jedoch fiel auch Herrn Werner sein Gebaren auf: „Was ist mit dir, Stark, willst auf deine alten Tage ein Schindluder werden und Vaurien 2 ?“ Da hatte Lux sich hoch aufgerichtet, und sein schmaler Dantekopf hatte einen fremden und harten Ausdruck angenommen:
„Weil ich keinen Atem mehr hab’ und mir die Händ gebunden sind, Meister, kann ich nimmer schaffen; es ist mir zu eng hier!“
Und Herr Werner hatte ihn fast besorgt angeschaut: „’s ist wahr, lang bist nun dagewesen, ein wenig hinaus solltest, dann werden dir nachher die vier Wänd wieder besser behagen!“ Und es fiel ihm ein, daß er einen Auftrag hätte an den ehrenwerten Herrn Lukas Hofmann, Goldschmied und Kunstliebenden zu Basel, den sollte ihm Lux ausrichten, daß er ein wenig an die Luft käme und unter Menschen. Mit Lebhaftigkeit ging dieser auf den Vorschlag ein, und so verreiste er denn kurz vor Weihnachten, Basel zu, um dem bekannten Kunsthändler ein paar neue Miniaturen Herrn Werners, Annas Schäferbildchen und seine eigene Radiererkunst anzubieten.
Kurz war der Abschied von Anna. Als sie am Morgen seiner Abreise ihr Stübchen verließ, stand er unten auf der kleinen Treppe: „Leb wohl, du, und denk an mich, ich komm’ bald wieder!“ Und dann nahm er plötzlich ihre Hand an den Mund und küßte sie ganz heiß, daß es beinahe war wie ein Biß, und dann stürzte er fort, und sie blieb in der dunkeln Ecke zurück, und das Herz war ihr schier stillgestanden vor Schreck, die Hand aber zitterte und brannte wie Feuer.
Da war es wohl, um dieses Feuer zu löschen, daß sie die Hand leise heraufnahm und ihre Lippen darauf drückte, bang und hastig, gerade dorthin, wo es so brannte. Aber das Brennen wollte lange nicht weichen und ging ihr lähmend über die Finger, daß sie oft mitten in der Arbeit den Pinsel weglegen und diese weiße Hand betrachten mußte, ob denn nicht ein Mal darauf stand, feuerrot und heiß.
Es war still geworden im Wernerschen Hause. Auch die Französin war ausgeflogen eines Morgens und hatte das fröhliche Lachen mit sich genommen, und den jungen Morell sah man nie mehr. „Er hat einmal auf Giulios Laute gespielt,“ erzählte Sibylla; „da hab’ ich gewußt, daß ich ihn nie lieben könnt’, und hab’ ihn weggeschickt.“
Die beiden Mädchen schlossen sich wieder enger zusammen. Sibylla redete von Giulio mehr denn je, und anders als früher, stiller und weichmütig, und Anna hörte ihr willig zu. Manches verstand sie nun besser, und oft meinte sie, daß jene von Lukas und ihrer Liebe redete, aber niemals sprach sie von sich. Wie eine Entheiligung wäre es ihr vorgekommen; nur wohl tat es ihr, aus Sibyllas Mund Dinge zu hören, die auch ihr Herz erfüllten; denn auch ihr Glück hatte durch die Abwesenheit des Geliebten etwas Wehmütiges bekommen. So gingen die Feiertage vorbei, still und ohne Klang, und dann, Ende Januar kam ein Brief aus Zürich, der Anna plötzlich aus ihren Geleisen sprengte.
Ein Unglück hatte ins Wasersche Haus eingeschlagen: Marias Bräutigam war gestorben, plötzlich und furchtbar. Anna wußte nicht wie, aber sie fühlte, daß etwas Grauenvolles hinter diesem Tod stand. Und nun fürchtete man für Maria, und auch die Mutter war krank: „woraus du wohl begreifen magst,“ schrieb der Vater, „daß deine Anwesenheit hier vonnöten, weilen ein frischer Geist und hilfreiche Händ in unserem betrübten Haus, solches der Herr also geschlagen, wohl zu brauchen und andererseits
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