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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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ist kalt, und doch vergeh’ ich vor Glut‘ — da hab’ ich an die Nachbarin gedacht, daß sie es hören könnt, und ‚Geh fort,‘ hab’ ich gerufen, ‚zu deinem Schwager, und daß mir nimmer so kommst!‘ Und hab’ das Fenster zugeschlagen und meinen Kopf in die Kissen gesteckt vor Angst und Scham und daß ich ihn nimmer hören konnt’ …
    Am Tag haben sie mich dann geholt in währendem Kirchenläuten. Da lag er in des Schwagers Bett, ganz weiß, und war das Blut ringsum. Und als ich wieder zu Sinnen kam, maßen ich hingefallen von dem Jammer, da hob er die armen Händ zu mir: ‚Siehst du, Maria, nun hab’ ich mir selbst geholfen — ganz still ist mir nun, ganz kühl …‘
    Sieben Täg bin ich bei ihm gesessen, allezeit an seinem Lager, und hab’ die sterbenden Händ in den meinen gehalten, und da hat er mir alles gesagt: ‚Siehst du, Maria,‘ — und war es wie ein Lächeln in dem weißen Gesicht — ‚so sollten wir sein, ohne Blut und mit durchstochenem, sterbendem Herzen, dann würden wir die Lieb ertragen können. So wohl ist mir jetzt, da ich dich liebhaben kann ohne Verlangen und ohne Glut, ganz rein wie die lieben Engel im Paradeis.‘ Und hat es mir abgebeten, daß er solches getan im jachen Wahnwitz jener Nacht und hat schöne und heilige Worte geredet. Mir aber war, als ob ich es gewesen, die ihm das Messer ins Herz gestoßen, und als die strenge Kirche ihm verzieh und man ihn ehrlich bestattete, war mir immer, als ob man mich als eine Mörderin hätte richten müssen.
    Und ihr habt Angst gehabt um mich, ich weiß es, und gefürchtet, daß ich es ihm nachtäte, meinem Jacob; deshalb hat man dich zurückgerufen, Anna, daß du mich hütetest, nicht wahr? Oh, ihr hattet unrecht, ich hab’ eine ganz andere Sühne: als die feuchten Finger kalt wurden in meinen Händen, ist es zu mir herübergekrochen — auf einmal saß es mir im Herzen, und nun bin ich da, um es zu Ende zu leiden sein qualvoll abgebrochenes Leben, allein, und ist keiner, der mir helfen darf.“
    Mit einer plötzlichen Bewegung hatte sie Anna von sich gestoßen und starrte nun aus großen Augen ins Leere. Anna, deren Tränen unter den seltsamen Worten der Schwester lange versiegt waren, berührte leise ihre Hand: „Arme, arme Maria!“ Da wandte sich diese ihr zu, und es kam wieder ein mildes Licht in die schwarzen Augen:
    „Ja, arm — aber siehst du, du darfst nicht arm werden, Anneli, du hast glückhafte Augen, und der liebe Gott meint es gut mir dir. Deshalb hat er nun deinen Liebsten einen andern Weg finden lassen, daß du rein bleiben kannst. Trennung, das tut weh; aber besser jetzt, da es die große Flamme noch nicht ist. Laß dem Schmerz seine Zeit, und dann kann alles wieder gut werden und besser als vorher. Und wann ich dich wieder froh seh’ — dein heiter und still Wesen hat mir so wohlgetan — dann wird es vielleicht auch in mir wieder ruhiger. Deine Ruhe wird mir so gut tun und deine Stärke, willst du mir helfen?“
    Und sie versuchte zu lächeln. Wie ein blasses Wintersonnenscheinchen zitterte es um ihre Lippen, so rührend sah das aus.
    Anna fiel ihr um den Hals: „Liebe, liebe Maria, wir wollen stark sein, beide!“
    *
    Nein, die große Flamme war es wohl nicht gewesen, aber ein stilles und frohes Licht, das in alle Winkel hineingezündet hatte, und nun es erloschen, war alles grau geworden und trüb. Und auch die Vergangenheit lichtberaubt und schmerzhaft. Und all die lieben Erinnerungen, womit Anna sich ihr junges Lebensstübchen ausgeschmückt hatte, daß es darin glänzte und duftete wie von Kränzen und buntem Flor, die waren nun welk und tot. Nur nicht zurückdenken, das tat so weh. Aber auch nicht vorwärts. Wer mochte in eine Zukunft blicken aus der grauen, grauen Gegenwart heraus? Konnte es anders werden als es war, lichtlos und ohne Freudigkeit? Da war nur die gegenwärtige Stunde und die Arbeit, der sie gehörte. Die Arbeit. Wohl war es nicht mehr das frohe leichtbeschwingte Schaffen jener glücklichen Zeiten des Lichts, vielmehr ein strenges und mühsames Werk. Aber auch der tapfere Eifer tat gut, machte, daß man nicht Zeit hatte zu lauschen, wann die schwarzen Flügel sich regen wollten, machte, daß man müde wurde, daß die brennenden Augen zufielen und die vom langen Sitzen schmerzenden Glieder sich lösten, wann die langen schlimmen Nächte kamen.
    Wie lieb ward ihr nun ihr strenges Arbeitszimmer; so dankbar war sie, daß es sie mit festen Türen und kleinen unklaren Fensterchen vor

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