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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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Zeigfinger.“
    Der Amtmann lachte kurz auf: „Schön gesprochen, Ratsherr, ist ein netter Anblick, wann einer in sein eigen Nest hofiert!“
    „Selb tu’ ich nicht, Bruder,“ erwiderte der andere ruhig, „nur sauber halten möcht’ ich’s, das lieb alt Nest; du weißt selbst, wieviel unsereiner zu sagen hat im Regiment. Zusehen können wir, wie sie es treiben: lassen fremd Geld in die eigenen Taschen rinnen und behandeln den armen Mann als einen servum, nehmen ihm sein arm Lebensfreud und meinen, daß man also glücklich und willig Untertanen schafft. Und ist mir beigefallen, daß es allenthalben so im ganzen lieben Helvetien, Zweiheit und Enge und Haderlust allerorten, und mußt’ an die schönen alten Träum denken, dem Zwingli seine stolzen Plän und letzthin noch des Bürgermeisters verstandsam und wohlerwogen Vorschläg, wie sie all ins Wasser gefallen bishero, und wie kein Einheit nicht und kein Richtlinien, und hab’ an Villmergen denken müssen und an die Ausländerei und an Hüningen — Herrgott! Da ist mir die Galle aufgekrochen, daß ich sie hab’ herunterschwemmen müssen in der ersten Weinstube. Aber ist doch nicht gelungen, bin halt doch noch herausgeplatzt.“ Er seufzte wehmütig und streckte die kurzen Beine ergeben von sich. „Und nützt doch allweg nichts, das Geschimpf, hast am End recht, Bruder: Ausreifen lassen, ausreifen lassen — wenn man’s kann!“
    Aber Rudolf sprang auf: „Nein, Oheim, nicht warten, auf die lang Bank schieben nicht! Wann sie uns die Fenster nicht von innen auftun, dann schlagen wir sie von außen ein. Oh, wir haben Mittel!“ Er lachte, und seine Augen blitzten. „Neue Mittel, Onkel, aber kräftige, nicht Schwerter und nicht Legislationes, aber Wahrheiten …“
    Doch der Amtmann fuhr ihm mit einem barschen Wort dazwischen: „Schweig, Bursch, und daß nimmer solche Worte wagst in meinem Beisein, hörst! Was ich am allermindsten leiden kann, das ist großmäulerisch und frech Jungvolk, solches klüger sein will als das Alter.“
    Rudolf, dem die Flamme übers Gesicht schlug, suchte sich zu verteidigen: „Ich bin nicht großmäulig, Vater, nicht frech …“
    Aber der Fähndrich klopfte ihm begütigend auf die Schulter: „Hast mich selbst schier erschreckt, Rudi. Das mit den Wahrheiten, nimm dich in acht! Willst ein Pfarrer werden, schau, die Heilige Schrift, mit dem Herzen muß man sie begreifen, und nur wann’s durchs Herz geht, so wirkts, das göttlich Wort. Leicht aber kannst mit unpaßlicher Forschgier die reine Lehr antasten.“
    „Die Heilige Schrift,“ redete der Amtmann streng dazwischen, „hat keine Forschgier nicht zu fürchten, wenn sie von weisen und vernünftigen Leuten kommt, und die Wissenschaften, so sie ernsthaft und streng betrieben werden, machen mir keine Angst, sie werden schon so weit kommen, daß es stimmt mit dem göttlichen Wort. Aber was jung und unreif Volk da erstürmen will, das kann nichts Gutes sein. Der Herrgott läßt sich keine Geheimnisse abzwingen, am allermindesten durch übermütig und selbstisch Gebaren. Er gibt seine Schätz, wann Er will, zunächst aber dem, der warten kann und in Demut sich bescheiden.“
    Er stand auf, und wie er nun den schmalen Mund schloß mit einer kalten und bestimmten Art, war es, als ob er einen festen Punkt hinter sein Diktum gesetzt hätte, einen Pfahl, darüber man sich nimmer hinauswagt.
    Auch der Fähndrich erhob sich. „Es ist spät geworden und hab’ ob all dem Disput die Hauptsach vergessen und warum ich eigentlich hierher gekommen bin.“ Er wandte sich an Frau Esther: „Die Schmidin, das Lisi, ist mir krank geworden, liegt im Bett mit Hexenschuß, sollt’ jemanden brauchen zur Hülf; da hab’ ich dran gedacht, die Maria, wenn sie kommen wollte, ich wüßt’ es ihr zu danken, daß sie mir ein Aug hätte auf allem, die arme Kreatur pflegte, auch etwan im Gewerb nachsähe; ist jetzt allenthalben viel Arbeit mit Eintun und neu Pflanzen …“
    Die Amtmännin, die mit einem bleichen und verletzten Gesicht den aufgeregten Reden der Männer beigewohnt hatte, schüttelte leise den Kopf: „Es wird kaum gehen. Nicht einmal aus dem Haus heraus bringt man sie, wenn’s nicht in die Kirche geht oder aufs Grab. Und nun gar in ein fremd Haus und zu neuer Arbeit — wirst dich um jemand anders umtun müssen, Schwager.“
    „Das kann ich schon, Leut find’ ich allerwege; aber“ — er zog bedenklich den langen Schnurrbart — „leid tut’s mir, auch um die Maria. Eben heraus

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