Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
es gekrochen, und was aus einer Hagebutten kommt, muß stechen und blühen und Wohlgeruch streuen, und kannst niemalen eine Ilge 5 daraus machen. Kommt nur darauf an, daß man jedwedes an sein Platz stellt: die wilde Rose an den Zaun, daß sie ranken kann, und die Ilge in das still Gärtlein, allwo sie keiner stört. Für das Estherlein ist mir lang nicht anngst. Dem Anneli gleicht es am meisten, und wann’s auch ein Stück wilder ist und trutziger — das ist gutes Blut und wird seinen Weg schon machen.“
Inzwischen hatte Heini mit Gutenacht und Handkuß die Runde gemacht. Nun trat er vor den Fähndrich, küßte sein weißes Händchen und legte es flüchtig in des Onkels feste Tatze, der es entfloh, bevor sie nur recht zugegriffen.
Dann umfaßte der Knabe in plötzlichem Ungestüm die große Schwester: „Gelt, Anna, das erzählst mir noch von dem bösen roten Stern, der die Kriegsfuria anzündt, und von dem schönen weißen, wo sie wieder löscht?“
„Ein ander Mal,“ sagte Anna lächelnd und küßte ihn auf die helle Stirn, „jetzt sollst du schlafen!“
Da trat Rudolf, der die ganze Zeit schweigend hinter Marias Spinnrad zwischen den beiden Säulen des dunkeln Fensterwändchens gestanden hatte, in den Lichtkreis. „Mein, Heinerli,“ sagte er geheimnisvoll, mit glänzenden Augen, „ich wüßt’ dir auch von den Sternen zu erzählen, von den tausend kleinen Sternen, die alle um die große Sonne tanzen und wir auch mitten drin, so ein kleiner tanzender Stern!“
Heini sah den großen Bruder verständnislos an; aber der Amtmann zürnte: „Das Kind mindestens sollst mir annoch verschonen mit deiner diskutabeln Scheuchzerschen Lehr!“ Und er schlug mit der flachen trockenen Hand auf den Tisch, daß Frau Esther erschreckt auffuhr.
„Geh nun, Heini,“ sagte sie ängstlich, „und vergiß das Beten nicht, Kind!“
Als der Knabe das Zimmer verließ, sah ihm der Fähndrich ernsthaft nach. „Zartes Gewächs, zartes Gewächs,“ brummte er, „das ist auch so eine Ilge, der man ein still Plätzchen sollte aussuchen können. Schad, daß er kein Katholischer ist, der Bub, ein Mönchlein hätte er gegeben wie kein anderer. Für einen reformierten Geistlichen ist er zu sinnierlich und zu schwach. Wir sollten feste Leut haben, heutigstags, solche, die den alten Geist zu wecken oder einen neuen zu pflanzen vermöchten, sonst kommt’s schlimm mit uns, und der dort hätt’ sich sein Herzblut füglich sparen können.“ Er wies nach der gegenüberliegenden Wand, wo auf braunem Getäfer zwischen schwarzgrundigen Ahnenbildern Zwinglis Contrafet hing.
Rudolf zog hastig seine niedrige Sidele neben des Onkels hohen Stuhl und blickte ihn von unten herauf mit heißen Wangen an: „Wie meint Ihr das, Oheim?“
„Wie ich das mein’?“ Er schob die Augen zusammen und blies umständliche Wolken über sich: „So mein’ ich’s: Pfaffheit bleibt alleweil Pfaffheit. Geist muß zu Worten werden, himmlisch Feuer zu Geschwätz, die rein Lehr müssen’s in Satzungen gießen. Herzenssach wird Hirngespinst, Liebe in Haß verkehrt, und was uns zur Freud sein sollt’ und trostlichen Erhebung, zu einem Instrumente geformt, darmit die arm Seel zu quälen. Da muß denn einer kommen von Zeit zu Zeit und den schwarzen Fetzen herunterreißen, der das himmlische Licht also traurig verstecket, und den Staub wegwischen, so auf dem göttlichen Wort liegt. Das hat der Zwingli getan. Eja, war das ein lustiger Putztag! Mit dem Licht hingezündet, daß man den Plunder sah in der hintersten Ecken, mit dem Schwert aufgestöbert, mit dem Feuergeist dreingefahren und annoch nachgewaschen mit dem eigenen Herzblut. So gründlich hat keiner gefegt, der Luther nicht und nicht der Calvin, ist kein Stäublein geblieben auf der reinen göttlichen Lehr, daß sie bloß war und blank wie am ersten Tag … Aber dann sind die Schwarzröck wieder drüber gekommen, die flauen und die schlauen, haben mit Eifer begonnen, mit Verblendung weitergefahren und mit Faulheit und Eigennutz zum bösen End geführt, allwo der Plunder wieder gehäufet liegt, fast so dick wie zuvor, darunter die rein Lehr ersticken muß wie ein arm’s Kindlein, das eine schlimme Dirn erdrückt unter ihrem Dachbett.“
Er hielt inne. Der Amtmann war aufgesprungen, hatte ein Fenster, das um ein weniges offen gestanden, mit Geräusch geschlossen und stellte sich nun bleich und erregt vor den Fähndrich.
„Bruder,“ sagte er mit eigentümlich belegter Stimme, „sprichst wie ein
Weitere Kostenlose Bücher