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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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herausbrach. „Euer Gesang,“ hatte Giulio gesagt, „ist ein Rätsel; alles an Euch ist klar wie der hell Tag; aber wann Ihr singt, dann muß ich an einen schweren Sommerabend denken über dem Tal des Arno, wann rote und violette Dünste den Fluß heraufziehen und die zuckenden Flämmchen der Feuerfliegen durch verschattete Büsche schweifen.“ Sie schüttelte den Kopf: „Laß das, Johannes, es ist ein trauriges Lied, und ich habe eine unfrohe Stimme.“
    Doch der andere beharrte darauf: „Weißt noch, wie wir’s zuerst hörten? Wohl war es traurig, aber so schön!“ Und er erzählte Lisabeth von einem Herbstabend in Braunfels, da sie selbander — Anna, Rudolf und er — mit den gräflichen Herrschaften unten an der Lahn durch einen Wald geritten, als sie plötzlich auf einen kleinen See trafen, der mit schwarzen, vom aufsteigenden Mond leise versilberten Wassern, worüber Tausende von kleinen Nachtfaltern schwebten, gar ernsthaft und andächtig ausgesehen habe, sodaß manch lustiger Mund verstummt sei. Und dann auf einmal sei vom andern Ufer ein Lied herübergekommen, so weh und mit solch trostlosem Schmerz vorgetragen, daß darob selbst des jungen Schaffhauser Pagen leichtsinnige Augen tränenfeucht geworden. Man hätte aber nachher vernommen, daß, der das Lied gesungen, ein armer fahrender Sänger gewesen, dem einstmalen an eben jenem See ein schlimmes Unglück zugestoßen sei, wovon ihm ein unstet Leben und verstörter Geist geblieben … Und der Kranke bat neuerdings schier eigensinnig um das Lied.
    Da holte Anna schweren Herzens des Schwagers Laute herbei, damit ihre Stimme sich nicht also allein und unbedeckt hervorwagen müßte, und sie sang:
    Der Mond streicht über die Wälder
Sein Licht ist weiß wie Schnee,
Es schimmern die weiten Felder,
Es zittert der tiefe See.
    Die dunkeln Wellen trinken
Ein weißes Totengesicht.
Zwei Äuglein sah ich einst winken,
Nun ist erloschen ihr Licht.
    Eiu weiße Ros’ ist zerflossen
Auf seiner schwarzen Flut —
Und wer nie Liebe genossen,
Weiß nicht, wie Leiden tut.
    Auf seinen schwarzdunkeln Wellen
Viel weiße Falter ziehn —
An mir, einsamem Gesellen,
Armseelen vorüber fliehn …
    Mit heftiger Bewegung warf Anna die Laute auf den Tisch, wandte sich jäh zum Fenster und schaute mitten hinein in die sinkende Sonne, der der nahende Frühling schon ein scharfgelbes Licht verlieh. Es tat ihr wohl, sich die grellen Strahlen ins Aug brennen zu lassen, daß es schmerzte und daß sie, ins Zimmer zurückgewandt, wie eine Blinde nur das tolle Kreisen gelber und violetter Sonnen gewahrte. Als die Augen wieder klar waren, sah sie, wie die beiden sich in den Armen lagen mit einer großen und wehen Innigkeit, wie sie es noch nie an ihnen gesehen. Später sagte Johannes: „Aus dem Lied hast dein Bild genommen, gelt?“ und als Anna nickte, fuhr er fort: „Als ich’s zuerst sah, kaum verstanden hab’ ich’s, so fremd kam es mir vor: der schwarzrot See und dann die weißen Gestalten, wie sie heranschwebten zwischen den dunkeln Stämmen herfür und sich niederneigten zu der Flut, tief, tief, als ob sie etwas daraus herfürholen gewollt.“
    „Eine Geschichte des Homer ist mir vorgekommen,“ sagte Anna dawider. „Als ich die weißen Sommervögel sah, still und traurig, wie so kleine Seelen, und das dunkel Wasser darunter, worein das herbstlich Laub einen roten Schein warf, an die armen Seelen hab’ ich denken müssen, die der Odysseus fand dort unten, und an das Blut, wie sie herbeischwärmten, so elend, so bleich, und es tranken voll Gier, daß ihnen das Erinnern wiederkomme an die Welt und das warme Leben —und so hab’ ich’s gemalt.“
    „So was hat mir die Marquise gesagt da sie mir’s zeigete,“ fuhr Johannes fort, „und dann beigefügt daß es ein Meisterstück sei.“
    Anna lächelte: „Wohl mein Bestes — und doch erst ein Anfang.“ Sie seufzte und senkte den Kopf tief, daß die hängenden Locken ihr Gesicht und Blick verhüllten.
    Es wurde ganz still in dem Gemach, daß jedes sein eigenes Herz klopfen hörte. Und dann, als es schon Zeit zum Gehen war: „Sing auch du mir noch ein Lied, Liebste,“ bat Johannes. Und Elisabeth faltete die Hände und hub alsobald an des Paulus Gerhard herrliches Lied: „Befiehl du deine Wege …“, und ihre Stimme war zart und duftig wie eine Kirschblüte und klar und durchsichtig wie ein Wintermorgen. Johannes schloß die Augen mit seligem Lächeln, und als sie zu Ende war: „Ei, hab’ ich doch geglaubt,

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