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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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ob mit dem feinen Duft, den sie oben zurückgelassen, das Lichte und Frohe gänzlich abgetan wäre.
    Vor der Stubentüre trafen sie mit Elisabeth zusammen, die mit einem Weinkrug und dem Öllämpchen, darauf ein freies Flämmchen unruhig hin-und herflatterte, mühsam aus dem Keller heraufgestiegen war. „Ach was, das ist doch viel zu schwer für dich, Mondscheinchen!“ rief Esther mit gutmütigem Lachen, indem sie Lisabeth den Krug abnahm und ihn rasch auf das Büfett hineinstellte. Dann verabschiedete sie sich eilig und trollte die Treppe hinunter mit einer Behendigkeit, die man ihrer rundlichen Gestalt kaum zugetraut hätte.
    Drinnen stellte Lisabeth ihr Lämpchen auf den Tisch, ihre schmale Hand zitterte von der Anstrengung des Tragens: „Fällt dir das so schwer?“ fragte Anna erstaunt. „Wohl, schon ein wenig!“ Sie lächelte verlegen. Aber dann schaute sie die Schwester vertrauensvoll an: „Nun bist du ja da, Anna, nun kann schon alles wieder gut werden.“
    Sie ging hinaus, um die andern zum Abendbrot zu rufen. Anna blieb allein. In der großen Stube lag schon die Nacht, und nur das zuckende Lichtchen auf dem Tisch leckte in das schwere Dunkel hinein mit unruhigen, zackigen Strahlen, sodaß ein unheimliches Schattenspiel über die Wände ging und dem vertrauten Gemach einen fremden Schein gab. Die Zinngeräte auf dem Schenktisch schienen sich zu regen, und die alten Bilder an den Wänden hatten uneigentliche, verzerrte Züge. Hier und da aber, wann das Flämmchen ganz in sich zusammensank, wuchsen gewaltige Schatten aus dem Boden herauf und schlugen erstickend zusammen. Anna fuhr sich mit kalten Fingern über die Augen; ihr war, als ob dunkle Riesenhände nach ihr griffen, von allen Seiten: Nun fassen wir dich, nun halten wir dich, nun lassen wir dich nimmer …
    Da erschienen die andern unter der Türe, voran Sarah mit der großen Lampe, deren freundliches Licht alles wieder in die alte vertraute Anschauung rückte: die Zinnkrüge erhielten ihren steten Glanz, die Ahnenbilder zeigten wieder verläßliche Gesichter, und die Schatten sanken in die tiefen Ecken zurück und legten sich beschwichtigt unter den großen Tisch.
    Man trat zum Abendgebet zusammen, und während des Vaters ruhige Worte in trockenem vertrautem Takt durch die Stube gingen, fühlte Anna, wie sie sich langsam wieder diesem stillen Kreis einfügte, untrennbar und unentrinnbar, als etwas Dazugehöriges, und ein tapferer Wille füllte ihr die Brust, als sie mit leisen Lippen den letzten Satz mitsprach: „Tröst uns in der Not, gib uns Stärke dazu und Kraft zu jeglichem guten Werk.“
    Mit ruhigem, schier heiterem Sinn konnte sie am Mahl teilnehmen, das ihrer Rückkehr wegen um etwas festlicher gestaltet war als sonst, und nur, wann sie von Braunfels erzählen sollte, von Rudolf und dem Leben auf der Burg, da stieg wohl mit der lebendigen Erinnerung etwas Würgendes in ihr auf, und ihr Herz kämpfte wie im Gedanken an zu früh verlorenes Glück und zerstörte Hoffnung.
    Indessen zeigte es sich, daß die Braunfelser Jahre mit ihrem freien und gesunden Leben in Anna nicht nur Wünsche geweckt und die Sehnsucht nach einem bedeutenderen, wirksameren Dasein, als die enge Heimat es ihr zu geben vermochte, sondern daß es auch einen gesunden Sinn in sie gelegt und sie gekräftigt hatte an Leib und Seele, sodaß sie, dem eigenen tapferen Willen gewachsen, mit tüchtiger Kraft die kommenden Zeiten auf sich nehmen konnte, die hunderterlei Arbeiten und Sorgen, die von allen Seiten auf sie fielen. Wo Elisabeths geschwächte Kräfte und der Mutter lahmer Wille nimmer ausreichten, da griff sie ein, trat der alten Sarah, die ihrer Arbeit nicht mehr gewachsen war und nun doch mit den jungen Mägden nicht auskam, hilfreich zur Seite, übernahm jene Schreibereien, die Elisabeth sonst für den Vater besorgt hatte, und wann die Schwester an ihrer Aussteuer schaffte, mit fiebriger Hast, als ob sie durch diese zielsichere Arbeit dem Schicksal hätte den Weg weisen können, dann war es wieder Anna, die mit geschickten Händen das Werk fördern half. Zuerst hatte sie noch gehofft, trotz all den Pflichten ihre Malerei nicht ganz aufgeben zu müssen; aber als sie einsah, daß die karge, schmerzlich unterbrochene Arbeit nicht gedeihen konnte, hatte sie eines Tages ihre Malstube abgeschlossen. „Das Heizen dort oben können wir uns ersparen,“ hatte sie zu Sarah gesagt, leichthin, als ob es sich um ein kleines gehandelt hätte, und keiner ahnte, aus welch

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