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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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schmerzhaftem Kampf dieser Entschluß gestiegen war. Sie sahen nur ihren tapferen Arbeitsmut, der wie ein frischer Zug durch die trübe Luft ging und auch ihnen wieder Stärke gab und Vertrauen. Elisabeth blühte ein wenig auf und ward zuversichtlicher. Denn auch in Cramers Krankenstube, der bei seinem Vetter, dem Tischlermeister Kambli, drüben über der Limmat wohnte, hatte Anna etwas von ihrer jungen Kraft hineingetragen, sodaß der Kranke an ihrem klaren verläßlichen Wesen sich aufrichtete und wieder gläubige Händ nach dem Leben ausstreckte wie ein junger eingesunkener Weinstock, den des Gärtners Hand am festen Stab gehoben hat und der nun wieder mit verlangenden Ranken Luft und Sonne einsaugt.
    Das waren seltsame Stunden, wann an den kurzen Winternachmittagen die beiden Schwestern selbander bei dem Krankten weilten, der, in feste Decken gehüllt, mit glänzenden Augen, fiebrigen Wangen und weißen abgezehrten Händen in seinem Lehnstuhl saß und mit leiser, etwas bebender Stimme von der Zukunft redete, von seiner persönlichen kleinen irdischen Zukunft und von der allgemeinen großen, ewigen. Drunten ging die Limmat vorbei mit ruhigem stetem Gemurmel und warf den Widerschein ihrer emsigen Wellen in silbernem Gekräusel an die helle Decke. Die beiden Mädchen stichelten mit flinken Fingern an Lisabeths Aussteuer: „Ich muß mich eilen, daß mir nicht zuvorkommst mit dem Gesundwerden,“ sagte Lisabeth mit frohem Lächeln; „denn diesmal laß ich dich nimmer allein gehen. Wann ich dich hätt’ pflegen können, gar nicht gekommen wär’ er, der böse Husten.“
    Und Johannes nickte: „Nun ist’s schon gar nicht mehr so schlimm, und wann mich die Füße erst wieder tragen, dann sollst sehen, wie schnell es geht,“ und er erzählte von Herborn und wie sie sich einrichten wollten, er und Elisabeth. Ach, und wie schön es werden sollte — wann es nur erst wieder ging mit seinen dummen schwachen Füßen.
    Die Schwestern halfen bauen an des Kranken hoffnungsreichen Plänen und nickten ihm Beifall, mit gläubigen Augen Lisabeth und Anna mit einem ruhigen Lächeln, dem niemand die schmerzliche Bewegung des Innern anmerkte.
    Oh, wie sie dieses weiße Linnen in ihrer Hand haßte, wie sie litt an dieser herausfordernden, ungeheuerlichen Arbeit! Oft war ihr, als ob sie eine fürchterliche Melodie in das Zeug hineinnähen müßte, die sich drohend am eintönigen Gang der Nadel abwickelte, immerzu, immerzu: Du nähst ein Totenhemd, du nähst ein Totenhemd …
    Und dazu Johannes’ zukunftsfrohe, von kurzen trockenen Hustenstößen unterbrochene Erzählungen und Lisabeths zuversichtliches Geplauder — es war entsetzlich, entsetzlich! Einmal warf sie die Arbeit in plötzlichem Grauen von sich: „Ich bin eine schlechte Näherin, Lisabeth, ich hab’ mich in den Finger gestochen!“ Sie zwang sich zu einem Lachen und packte das Linnen zusammen, und dann erzählte sie mit hellen Worten hundert Dinge, lustige kleine Erinnerungen aus ihrer Berner Zeit, aus Braunfels, aus Rüti, was ihr gerade durch den Kopf fuhr, nur um einmal jene Reden abzubrechen, die ihr in die Seele schnitten, und die andern lauschten erstaunt und lachten und freuten sich und waren betrübt, als hinter dem Ütliberg hervor der rote Abend zum Aufbruch mahnte.
    Cramer betrachtete Anna verwundert: „Ich hab’ dich niemals so gesehen, so funkelnd; nun erst versteh’ ich ein Wort des gräflichen Herrn, der dein Wesen einstmalen einem Bergwasser verglich, das zwar stille und klare Seelein bilde, darin man jedwedes Steinchen erkennt auf dem tiefen Grund, das aber hinwiederum wild und rätselhaft erscheinen könne, wann es als Wasserfall mit tausend Diamanten durch die Sonne springe.“
    Anna lächelte wehmütig, wie immer, wann plötzlich Braunfelssche Erinnerungen erweckt wurden, und eine feine Röte fiel auf ihre Wangen, während sie abwehrte: „Davon weiß ich nichts, von denen Diamanten.“
    Am andern Tag ließ sie ihre Näharbeit daheim und brachte dafür ihr Elfenbeinkästchen mit: „Ich will dich malen, Johannes; man muß dich nehmen, solang du still hältst; später, wann du erst wieder an der Arbeit bist, fängt dich doch keiner mehr ein.“ Und während sie daran ging, mit scharf beobachtenden Augen und sicherer Hand die Züge des Kranken festzuhalten, kam eine schöne Ruhe und Befriedigung über sie, als ob sie durch diese Arbeit, anstatt das Schicksal herauszufordern, ihm mit leiser List etwas abzwingen könnte. Und ihr Werk, an dem sie in

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