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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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der folgenden Zeit ruhig und ohne Hast arbeitete, gedieh aufs beste, und derweil sie die Wangen des Kranken um ein kleines voller malte, als sie es in Wahrheit waren, und ihr fiebriges Rot milderte zu der schönen Farbe der Gesundheit, täuschte sie ihm selbst ein Bild der Genesung vor, daraus sein tapferes Herz neuen Lebensglauben schöpfte. Und einmal, als die Schwestern an einem sonnenfreudigen tüchtigen Jännertag sein Zimmer betraten, kam er ihnen auf unsicheren Füßen zur Tür entgegen. Anna erschrak und führte den Schwankenden zum Lehnstuhl zurück; aber während er in die Kissen sank und der klare Schweiß ihm aus der Stirne brach und über die zitternden Hände lief, lachte er mit einem kleinen spitzbübischen Lachen: „Das war der erste Schritt, nun geht’s nimmer lang!“ Und er streichelte wieder Lisabeths Wangen und küßte ihre schönen Augen, welche die Freude der Überraschung mit Tränen füllte.
    An diesem Tage vollendete Anna mit plötzlich verschärfter Eile das Bildnis.
    Als sie andern Tags wiederkehrten, trat ihnen die alte Magd, die dem verwitweten Vetter die Wirtschaft führte, mit verweinten Augen entgegen, und während Lisabeth rasch voranschritt, flüsterte sie Anna zu: „Jetzt ist’s schlimm, schlimm, er hat einen Blutsturz gehabt der arm Herr.“
    In der Stube schlug ihnen eine unangenehme, drückende Luft entgegen; der Boden, der noch naß war vom Scheuern, strömte einen bangen, süßlichen Geruch aus. Johannes saß schneeweiß mit geschlossenen Augen im Lehnstuhl am Fenster. Neben ihm stand mit betrübtem, verdutztem Gesicht der alte Vetter, der beim Erscheinen der Mädchen alsbald im Nebenzimmer verschwand. Elisabeth kniete leise weinend neben dem Stuhl nieder und streichelte die durchsichtigen Hände des Kranken, der mit schmerzlichem Lächeln zu ihr niederblickte.
    „Nicht weinen, Elisabeth,“ sagte er mit schier unhörbarer Stimme; „schau, das ist ja gut daß es heraus ist, das schlimme Blut, das hat mir eben den Husten gemacht. Nun wird’s schon besser werden, nur etwas Geduld müssen wir haben, bis ich wieder stärker bin.“ Aber Lisabeth weinte weiter, und auch aus dem Gesicht des Kranken wich nicht der wehe Zug.
    Anna schob ihm ein festes Kissen in den Rücken und bettete ihn besser, sodaß der Kopf nicht also auf die eingesunkene Brust herunterfiel. Dann öffnete sie einen Augenblick das Fenster, daß mit der Sonne eine herbe kräftige Luft hereindrang und die schlechten Dünste vertrieb, und trocknete, so gut es ging, den Boden nach.
    Und Johannes nickte zufrieden: „Nun ist mir schon wieder besser,“ und sein Atem ging ruhiger und sicherer als zuvor. Auch Lisabeth beruhigte sich nach und nach; aber ihr Nähzeug nahm sie heute nicht hervor und auch die späteren Tage nicht, ob Johannes schon sich scheinbar wieder erholte.
    Es war auf einmal alles anders geworden. Oft saßen sie nun alle stumm beieinander, Anna mit irgendeiner kleinen Beschäftigung, Lisabeth und Johannes untätig, mit verschlungenen Händen, lauschten dem gleichmäßigen Gang der Limmat und dem Rufen der Fischer, das von unten heraufklang, und sahen den zitternden Lichtkringeln nach, die über die weiße Decke liefen, unablässig, unablässig. Oft auch sprach Johannes, nicht mehr von Plänen und Hoffnungen und Zukunft, wohl aber — mit stiller ferner Stimme — von den ewigen Dingen und letzten Fragen. Und die Mädchen hörten ihm zu, andächtig und atemlos, und Anna staunte über die reife Abgeklärtheit dieses jungen Geistes. Wie ganz anders brodelte und gärte es noch in Rudolfs heißem Kopf und — in ihrem eigenen Herzen. Und sie erschauerte im Gedanken, daß es kein Junger, Zukunftsberechtigter sei, der da also zu ihnen spreche, sondern ein Vollendeter.
    Oft auch sang ihnen Elisabeth, und wann die alten lieben Lieder mit ihrer reinen morgenklaren Stimme durch den Raum gingen, konnte bisweilen ein köstliches, zeitloses Glück über die drei Menschen kommen, daß sie Schmerz und Bangen dieser Stunden darüber vergaßen.
    Einmal wandte sich Johannes, der nach einer schlimmen Nacht erschöpft und kraftlos dalag und mit erschreckenden bläulichen Schatten im Gesicht unvermittelt an Anna: „Das Lied vom Totensee möcht’ ich hören, du weißt, das der unbekannte Sänger gesungen — damalen.“
    Anna erschrak. Sie fürchtete sich vor diesem Lied, und dann — sie sang nicht gern, sie fürchtete sich vor ihrer eigenen Stimme, aus der oft ein unberechenbarer erbebender Klang wie aufwühlend

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