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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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unter dem Pinsel zu Papierblumen erstarrten?
    An einem solchen Totenspruch zeichnete sie auch eines Samstagnachmittags. Zum offenen Fenster herein kam eine warme duftige Herbstluft mit viel Wehmut und viel Traurigkeit; aber in der Gasse rumorte das Schwätzen der putzenden Frauen und der lustige Lärm spielender Kinder, und während Annas Silberstift unter der halbwachen Kontrolle ihrer ermüdeten Augen sorgfältig Linie um Linie zog, durchhorchte sie erwartungsvoll das muntere Samstagstreiben, bis endlich ein kleiner lustiger Pfiff ihr ins Ohr klang. Erfreut blickte sie auf. Das Gäßchen herab mit etwas beschwerlichen, aber festen Schritten kam der Onkel Fähndrich gegangen. Von weitem schon grüßte er Anna mit fröhlichem Hutschwenken, warf dann einer spinnenden Alten, die in einem verlorenen Sonnenstrahl mitten auf seinem Weg saß, ein neckisches, etwas derbes Wörtlein zu, daß sie mit zittriger Stimme ein kicherndes Gelächter anschlug, und verschwand sodann unter vernehmlichem Zuschlagen der Tür im Hause. Gleich darauf hörte Anna seine schweren Schritte, die ununterbrochen über alle drei Treppen zu ihr herauf stapften. Unter der Türe begrüßte sie ihn: „Ihr seid gradwegs zu mir gekommen?“ fragte Anna erstaunt.
    „Ja, Jungfer Meiti,“ erwiderte der andere lachend. „Die Mutter und die Lisabeth, schau, ’s ist mir zu fein das Frauenzimmer und zu himmlisch. Porzellanfigürchen, das war alleweil mein Fall nicht; hab’ Angst, daß sie mir zerbrechen zwischen den groben Fingern. Da bist dann schon ein ander Gewächs, du.“
    Er strich Anna leise über das Haar und berührte sie dabei so zart und behutsam, daß sie lächeln mußte: „Da sprecht Ihr von groben Fingern und könnt einen streicheln wie ein Sommervogel. Ja, ja, so seid Ihr, Onkel, meint, ich sei Euch noch nicht dahintergekommen, hinter Eure zärtliche Seele.“
    Sie setzte sich wieder an ihre Arbeit, während er brummend seinen Hut auf den Tisch warf: „Von der Seel und gar von der meinen ist’s mir schon lieber, wenn man nicht reden tut.“
    Schwerfällig ließ er sich auf der großen Truhe an der Fensterwand nieder und sah mit behaglich gefalteten Händen und weit auseinander gestellten Füßen nach Annas emsigen Fingern hinüber. Plötzlich nahm er eine pathetische Stimme hervor und hub, indem er die beiden Daumen gemach umeinander drehte, mit komischem Ernst zu deklamieren an:
    „Und wie das Waservolk des Marsen Fäder tragt,
Wann es dem Vaterland und Gottes Ehr behagt,
So kann es gleicherweis die Pallasfäder führen,
Das weiße Nilusfäld mit einem Heer zu zieren,
Das meiste Sprachen redt und aller Künste Pracht
Sich gleichsam zum Verbunst darstellt und sichtbar macht.“
    Anna schaute belustigt auf: „Was habt Ihr wieder zu spotten?“
    Aber der andere wehrte sich: „Das ist kein Spott nicht, wenn mir also ehrwürdige Wort zu Sinn kommen in Ansehung meiner so kunst-als wissensreichen Jungfer Nichte.“
    Doch Anna schüttelte den Kopf: „Spott und Hohn, nichts als Spott allemal, wenn Ihr ein Stück aus dem Waserschen Heldenlied fürbringet, das weiß ich lang, und hält es doch mein Vater ehrfürchtig hinter Glas und Rahmen.“
    Der Oheim seufzte: „Ja, der Herr Amtmann und der Fähndrich, das sind zwei unterschiedene Waserstämm,“ und als Anna ihn fragend anblickte: „Schau dir mal unser Wappen an, gar deutlich findest sie da auffigürt, die beiden Stämm mit Ruder und Stachel … Ja, so ein Ruder, wie es bedachtsam und im schönen Gleichtakt über die glatt Fläche streichet, immer emsig, immer gleich, alleweil eins mit seinem Gespanen an der schönen glänzigen Oberfläche; jeder rühmt’s, und jeder freut sich daran, da es also sichtbarlich das Schifflein für sich bringt auf der alten, guten, leichten Bahn. Aber der Stachel, der tanzt nicht auf Flächen. In den Grund dringen will der, dorthin, wo der Schlamm liegt und das Faulfleisch also wohl verstecket unter den silbrigen Schwätzerwellen, und aufwühlen und gegen den Strom treiben will er. Der hat kein leichte Arbeit und kein lustige nicht, und eines Tags ist er abgenutzt oder gar abgebrochen, und dann wirft man ihn weg, selber hinab in die unrühmliche Tiefe, wo er ungesehen geschafft hat all die Zeit, und keiner weiß etwas von ihm … Ja, ja, und also hat es auch zwei Waserstämm gegeben allezeit. Die einten, das sind die Verstandsamen, die Fürsichtigen und Fleißigen; denen geht die Ordnung über alles und der Gehorsam und all die siebenundzwanzig

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