Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Bürgertugenden. Eja, die haben’s weit gebracht mit ihrer sichtbaren sauberen Arbeit, sind oben gesessen am Staatsschiff und haben sich auf die fürnehmste Kanzel gesetzt und die sublimste Kathedra und haben sich Bürgermeister genannt und Amtmänner und Antistes und Professores. Aber wer weiß von den andern was, als etwan, daß sie unruhige Köpf gewesen, solche ihre fürnehmen und reputierlichen Verwandten nur mühselig im Takt gehalten! Und hätt’ man auch etliches von ihnen gewußt und ihrem stillen Werk, zu einem Ruhmestitul würd’ man’s ihnen kaum anrechnen. Müssen froh sein, wann sie sich schließlich ungekränkt ins Todbett legen dürfen und mitsamt ihrem eigenen Kopf.“
Er sah düster vor sich hin; aber da gewahrte er, wie Anna mit tiefgebeugtem Nacken hastig an ihrer Arbeit strichelte. Sie war merkwürdig weiß, nur das feine Ohr, das die vorgefallene Locke freigab, glühte. Sofort änderte er den Ton: „Nu, Meiti, wollt’ sie dir nicht heruntermachen, deine Oncles und Großväter,“ sagte er begütigend; „schließlich will doch jeder das Beste auf seine Weis’, bloß daß die einen dabei aufblühn und die andern dran zugrund gehn, und dann kommt sie das Schimpfen an, wer weiß, aus lauter gelbgrünem Neid. Übrigens,“ fügte er fröhlich bei, „scheinst du mir sowohl das emsig väterlich Ruder als das mütterlich Mühlrad fürzustellen, dieweil du also ununterbrochen arbeitest und deinem armen Oncle, der sich die drei Treppen zu dir heraufgetappt, expreß und auf die Gefahr hin, seinen Schnauf zu verlieren, kein Blicklein gönnst. Was schaffst eigentlich?“
„Ein Epitaphium für die selige Frau Regula Winklerin.“
„Was,“ rief der Fähndrich und lachte laut auf, „gar ein herzigs Engelein soll sie ja geworden sein, die alte Hex!“ Er trat zu Anna: „So, so, der also! Das Leichenhuhn hat kaum das Lachen verbeißen können, als es ihren Tod ausrief, und nun darf das Meiti ihr ein Totenopfer malen wie einer halben Heiligen! Potz Sadrach, Mesach und Abednego, das kann’s mir nicht!“
„Was kann ich tun, wenn man’s verlangt?“ entgegnete Anna müde und sah dabei den Onkel dermaßen an, daß ihm seine Worte gleich leid taten.
„Hast recht, Meiti,“ sagte er beschwichtigend, „was geht’s dich an, wem’s gilt, hast sie doch nicht selber erdacht, die Lügenvers; wann deine Arbeit bloß recht tust, und das hast, beim Saker!“ rief er vergnügt, während er sich auf das große Blatt bückte. „So fein die Schrift, wie gestochen jeder Buchstab, und erst das Kränzlein rund herum mit den Tulipanen und Ehrenpreis und Denkelein, und gar da unten der Totenkopf, aus dem die Blumen herfürsprießen, was ein sinnvoll Erfindung und Zeichen für das ewig Leben, so den Tod überwindet!“
Aber Anna schüttelte heftig den Kopf und warf den Silberstift unmutig von sich: „Nein, Onkel, das macht mir keine Freud, die Totenköpf; weil ich zuerst einen gezeichnet auf der Frau Escherin ihr Epitaph, wollen sie nun allenthalben so einen haben. Wann du wüßtest, wie ich ihn haß, den Schädel, und jedesmal, wann die Leichenbitterin durch die Gassen läuft und einen reputierlichen Namen ruft, denk’ ich schon an den Totenkopf, den ich werd’ zeichnen müssen, und es schüttelt mich.“
Sie sprang auf, die Tränen waren ihr in die Augen gestürzt; der Fähndrich aber legte ruhig den Arm um ihre zitternden Schultern, zog sie neben sich auf die breite Truhe und streichelte sie sanft: „Armes Meiti, kann mir’s schon vorstellen, daß es keine Freud ist für so ein junges Blut, den Tod zu malen.“
Aber Anna wehrte sich: „Nicht das, Onkel; grad den Tod malen möchte ich, nur nicht so und nicht in dieser leichten, einförmigen Arbeit.“ Und leise lehnte sie den Kopf an des Fähndrichs breite Brust: „Ach, Onkel, Plän hätt’ ich, Entwürfe …“
„So, so,“ brummte der andere. „Plän, Entwürfe, auch du? Am End gehörst doch auch zu denen Stachel-Wasern, Meiti, Meiti! Und gar den Tod malen willst? Leicht ein zweiter Holbein werden oder Manuel!“
Anna wehrte errötend ab: „Nicht spotten, Onkel!“ Dann aber fuhr sie leise fort: „Wohl den Tod; aber nicht den bösen, gewaltsamen, häßlichen, sondern den guten Tod möcht’ ich malen; denn es gibt deren zwei. Der eine, das ist der Tod, den die Menschen selber herbeirufen; im Krieg kommt der oder wann Leute morden, die andern oder sich selbst, oder wann sie durch schlecht und maßloses Leben ihre eignen Kräft zerstören,
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