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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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angefüllt war von einem Haufen schwarzverkohlten Papiers, und da sie es mit der Kruke herausholte, behutsam, damit die bröckelnde Asche nicht neben den Kessel auf den Boden fiel, gewahrte sie, daß es beschriebenes Papier war. Die glänzende Tinte hatte sich noch deutlich erhalten auf dem verkohlten Grund, und da war auch ein unverbrannter Fetzen und ein Satz zu lesen: „… so aber stehet es um diese untapfere Zeit, daß, wessen das Herz voll ist und der Kopf heiß von gerechtem Zorn und Klag, die Feder greifen muß an Schwertes Statt und Tinten fließen lassen, wo er doch reden möcht’ mit feuriger Zungen …“
    Entsetzt ließ Anna die Kruke fallen, und dann stand sie mit bebenden Gliedern neben dem Amtmann, der abgewandt zum Fenster hinaussah.
    „Vater,“ rief sie, flammend vor Entrüstung und Schmerz, „was habt Ihr getan! Des Onkels Werk habt Ihr zerstört, sein Lebenswerk!“
    Der andere zuckte leise zusammen, dann straffte er langsam den eingesunkenen Körper und wandte sich ihr zu: „Ja, ich hab’ es getan,“ sagte er herb, während er sie aus blassen Augen grad anblickte, „und ist es mir nicht leicht gefallen, maßen ich vermeinte, meinen Bruder zum andern Mal zu begraben, und hab’ doch nimmer anders handeln können, vor Gott nicht und weiser Einsicht nicht.“ Und er berichtete Anna mit kurzen, fast mühsamen Worten von des Onkels Schriften, daß sie zwar große, vielbedeutende und begründete Gedanken über staatliche wie kirchliche Einrichtungen und über die menschlichen Dinge enthalten, aber von solch unerhörter Neuigkeit und in solch unerschrockener, Schäden aufdeckender Sprach, wie sie einer auch wohl in hundert Jahren nicht ungestraft würde fürbringen können. Und da er sich vorgestellt, wie unheilvoll derlei Gedanken den heißen und unreifen Köpfen seiner Söhne hätten werden können und daß diese Schriften, vor obrigkeitlicher Instantia als Schmachlibell erachtet, sie alle hätten ins Verderben bringen müssen, sei ihm nichts anderes übriggeblieben, denn zu Verhütung so großen und unabsehbaren Schadens diese verfrühten Kundgebungen einer Zeit zu entziehen, die dafür noch nicht reif genug.
    Anna versuchte unter den verstandsamen Worten ihre Erregung zu meistern. Ihre verschleierten Blicke begegneten den scharfen, überlegenen des Vaters. „So leben wir dann in der schlimmsten Zeit,“ sagte sie bitter, „solche nur das Halbe und Schwächliche bestehen läßt, was aber neu ist und tapfer und ganz, das wird erdrückt.“
    „Keine wird anders sein,“ entgegnete der Amtmann ruhig; „das Neue, auch wann es gut ist und ersprießlich, solange es außer dem Gewöhnen liegt, wird keine Zeit es ertragen.“
    „Aber“ — Annas Augen wurden groß und heiß — „die großen Helfer und Neuerer, Vater, die Reformatoren!“
    „Einmal kommt der Tag, wo das Neue an das Gewöhnliche rückt.“ Des Amtmanns Stimme blieb unbeirrt wie sein Blick. „Wer dann die letzte dünne Wand brechen hilft, den nennt man einen Reformatoren, ein hundert Jahr früher aber hätt’ man ihn als Ketzer verbrannt. Die größten Neuerer haben keine Wahrheiten gebracht, die nicht allbereits in der Luft hingen, und bloß, was einer schon selber halb gedacht, davon läßt er sich überzeugen.“
    „Und des Onkels Wahrheiten?“
    Der Amtmann machte eine kühle, weithin weisende Gebärde, und etwas Seltsames sprang durch die bernsteinfarbenen Augen:
    „Er hat die Obrigkeit angegriffen und den gemeinen Mann verteidigt. Auch in hundert Jahren wird kein Regent solche Sprache ertragen, und doch werden die Gnädigen Herren weit ehnder der Schmeichelei entraten als der gemeine Mann der Peitsche, ist doch kein Spruch wahrer denn dieser: Rustica gens optima flens pessima ridens. 1 “
    Anna zuckte zusammen: „Eure Sprüch ersticken einen, Vater, aber des Onkels Worte gaben das Leben!“
    „So schau hin, wie solches Leben endet!“ Eine leise Röte stieg dem Amtmann in die Stirn, während er nach dem Ofen hinüber wies; dann wandte er sich rau von seiner Tochter weg.
    Anna war, als ob ihr die Brust zusammengedrückt würde, zwei-, dreimal, wie unter der eisernen Umarmung der Folterfrau, wovon ihr etwas Gebrochenes zurückblieb und eine Mattigkeit, die sich ihr schwer an die Glieder hängte wie Ketten. Stumm und wie gelähmt ging sie zum Ofen zurück, und während sie den Kessel willenlos mit der letzten zerfallenen Asche füllte, dachte sie an des Onkels Wort von dem Stachel, der — abgebrochen — ruhmlos in

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