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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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alten Freudigkeit und dem vertrauenden Eifer.
    Christoph hatte ihre Absage mit großem Schmerz zwar, aber mit tapferer Ergebenheit aufgenommen, und es gefiel ihr, daß er nicht bettelte um die Liebe und nicht marktete. Und dann später einmal teilte er ihr mit, daß er sich nun einer Jungfrau angelobt, die nicht allein den Namen und Beruf, sondern auch einige liebliche Eigenschaften des Herzens mit Anna gemein habe, nämlich der löblichen Jungfer Anna Hayde, die in der Kunst der Miniatur nicht zu Verachtendes leiste, und daß er sich dermaßen, unwert jenes höchsten Glückes, ein bescheideneres erbaut, darin sich sein Leben freundlich und warm gestalten möge.
    Mehr noch als von dem unerwarteten Geständnis des ersten fühlte sich Anna von der unerschrockenen Offenheit dieses zweiten Briefes gerührt. Eine Art Ehrfurcht erfüllte sie gegen diesen seltenen Menschen mit der wahren, durchsichtigen Seele und der tapferen, unbeirrbaren Ehrlichkeit gegen sich und andere. Einen solchen Menschen glücklich zu machen … ja, diese Anna Hayde, ein schlimmes Los war ihr nicht gefallen. Und es fuhr ihr durch den Kopf: damalen, in Bern, wann der andere nicht gewesen wäre … und kam ihr zu Sinn, wie seltsam die Liebe, wie blind, und wie sie oft an dem Wertvollen vorbei einem Wertlosen oder gar Entwerteten zustrebte und wie wenig sie zu schaffen hatte mit der Erkenntnis … War denn Liebe überhaupt etwas Wirkliches, war es nicht bloß eine Einbildung, die uns die eigene Seele fälschlich im andern erkennen läßt, und konnte es nicht bloß Zufall sein, daß solche Einbildung in zweien zugleich entstand und sie zusammenführte?
    Es waren viel absonderlicher Gedanken, die ihr nun oft durch den Kopf gingen, und mit der Liebe hatten sie immer irgendwie zu tun; Anna aber wußte nicht, kamen sie aus einer eigentümlichen Unrast ihres Herzens oder war es allein ein besonderes Ereignis, das ihr solches nahe legte: Rudolf war zurückgekehrt, nicht reich und heiß von Erlebnissen, wie sie erwartet hatte, sondern still, ruhig und fast ein wenig müde, und als sie ihn klopfenden Herzens nach der großen Welt gefragt und dem Leben dort draußen: „Ja,“ hatte er mit unklarem Lächeln geantwortet, „ein wenig anders ist es schon, als man glaubt. Die großen Antworten hab’ ich wohl nicht gefunden, vielleicht gar hab’ ich auch die Fragen verloren. Man wird müd von der vielen Wißbegier und Hoffnung, und schließlich begehrt man nichts Besseres denn ein klein still Winkelchen, irgendwo, möglichst nah an der engen, geschmähten und — so geliebten Heimat.“
    Und als ihm dann unversehens die Pfarre des nahen Zollikon zukam mit dem schönen Stadthaus in Zürich oben an der Römergasse, da freute er sich wie ein Kind. „Mein warm Nestchen hätt’ ich nun, fehlt bloß noch so ein Weiblein hinein.“ Und auch dieses fand er, merkwürdig schnell, und seither war er wieder der alte Rudi, jung und feurig und voller großer Gedanken, die er alle aus dem kindischen, untiefen und herzlich unbedeutenden Wesen des blonden Pfarrstöchterleins von Dielsdorf zu lesen glaubte, und trieb mit solcher Ungeduld an der Hochzeit, als ob sie ihm letzte Lösung und Erfüllung bringen müßte.
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    1 Mit dem Bauer fährt man am besten, wann er flennt, am schlimmsten, wann er lacht.

6. Hochzeit
    Anna erwachte aus kurzem heißem Schlummer. Ein breiter Lichtschein lief blendend über die geblumte Bettdecke. Erstaunt öffnete sie die Augen — ja, war sie denn im Turmgemach zu Braunfels oder gar im alten Berner Stübchen, daß der leuchtende Morgen zu ihr hereintrat? Aber da kannte sie sich wieder aus: Richtig, heut war ja des Bruders Hochzeitstag, sie lag im Teucherschen Pfarrhaus zu Dielsdorf, und die dort im andern schmalen Bett so friedlich schlief, das war Enneli, die junge Braut.
    Anna betrachtete aufmerksam das Mädchen, das mit kindlich geöffnetem Mund und roten Wangen, die weißen warmen Arme unter dem blonden Kopf verschränkt, ruhig atmend dalag. So hatte sie geschlafen, die ganze Nacht, unbeweglich an derselben Stelle, wo sie sich gestern abend mit einem glücklichen Dankgebet hingelegt, während Anna immer wieder zu ihr hinüber hatte lauschen müssen und staunen über die ruhige Schläferin. War es denkbar, gab es wirklich so etwas, eine solch sicher ruhige Liebe, daß man dem großen Tag ohne Bangen und ohne Jubel, mit diesem friedlichen Lächeln und der klaren Stirn entgegenschlafen konnte? War die Erfüllung, das Glück vielleicht etwas so

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