Die Geschichte der Deutschen
Minderheiten, die sich gegen kulturelle und politische Unterdrückung wehren. Aus dem Erbe des Zarenreiches entstehen die baltischen Republiken Estland, Litauen und Lettland, auch Polen und Finnland werden selbstständig. Die europäische Landkarte wird neu gezeichnet und keineswegs sind die Staaten mit allen Grenzziehungen einverstanden. In Russland ist der Weltkrieg Geburtshelfer einer Revolution, die bald in die Weltgeschichte eingreifen wird. Auf Lenin folgen Stalin und die Supermacht Sowjetunion. Im unruhigen, von einer vernichtenden Inflation erschütterten Deutschland beginnen in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre die Nationalsozialisten ihren Aufstieg und bald werden sie Europa in einen neuen Weltkrieg stürzen.
Liberalismus, Sozialismus, Rassismus und Nationalismus – das sind die großen Gesellschaftsideologien, deren moderne Grundlagen im 19. Jahrhundert gelegt werden. Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnungen entwickeln sie sich im 20. Jahrhundert zu Massenbewegungen, die die Weltpolitik bestimmen. Der Erste Weltkrieg ist eine Wendemarke. Jahrzehnte der Völkermorde und Vernichtungskriege, der Bürgerkriege und des Terrors folgen ihm. Sie fordern Millionen von Opfern. Beispiellos bleibt der Holocaust, die Vernichtung des europäischen Judentums durch das nationalsozialistische Deutschland. So ist der Erste Weltkrieg wirklich die »Urkatastrophe« gewesen, von der die Historiker sprechen. Im Grunde sind seine Folgen bis 1990 spürbar geblieben. Dann erst bricht das sowjetische Imperium zusammen und auch die Osteuropäer können endlich selbst über ihr Schicksal entscheiden.
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|199| Die Weimarer Republik und der Nationalsozialismus
Als Berlin am 3. Oktober das Waffenstillstandsgesuch an die Alliierten abschickt und Kaiser Wilhelm II. den Prinzen Max von Baden zum neuen Reichskanzler ernennt, glaubt die konservative Führung der Marine mit einer heroischen Tat noch einmal ein Zeichen setzen zu können. Stabschef Admiral Reinhard Scheer befiehlt das Auslaufen der Hochseeflotte, die sich dem Feind zum letzten Gefecht stellen und heldenhaft untergehen soll. Dieses sinnlose und unverantwortlich mit dem Leben der Mannschaften spielende Verhalten löst bei den Befehlsempfängern Empörung aus. Die Matrosen, einstmals die Hoffnung der kaiserlichen Weltmacht-Träume, begehren auf. In Kiel und Wilhelmshaven kommt es zu Tumulten, die in rasender Geschwindigkeit zunächst auf die anderen Garnisonen, dann auf das ganze Land überspringen.
Die Welle des Protests vermag niemand mehr aufzuhalten. Nur der Kaiser versteht immer noch nicht, was sich um ihn herum abspielt. Am 9. November zwingt man ihn zum Rücktritt. Max von Baden weiß, dass er nur mit Hilfe der Sozialdemokraten einen völligen Zusammenbruch der Ordnung verhindern kann. Während die radikale Linke die Räterepublik ausruft und sich Soldaten und Arbeiterräte bilden, übergibt er die Kanzlerschaft an den Sozialdemokraten Friedrich Ebert. Der Rat der Volksbeauftragten übernimmt unter seiner Leitung die Regierungsgewalt. In Deutschland herrscht Revolution. Das Land wird eine Republik. Wohin sie treibt, weiß in dieser Stunde niemand. Sicher ist nur eines: Nicht nur der Kaiser dankt ab, sondern sämtliche Herrscher in den deutschen Ländern. Jahrhunderte haben die Könige und Herzöge der Hohenzollern, Wittelsbacher oder Welfen regiert. Jetzt schleichen sich die letzten gekrönten Häupter durch die Hintertüren aus ihren Schlössern.
|200| Friedrich Ebert (1875–1924)
Der Mann der Stunde heißt Friedrich Ebert. Am 9. November 1918 wird er zur führenden politischen Figur in Deutschland. Kaum ein anderer Sozialdemokrat ist unter den Historikern der Arbeiterbewegung so umstritten wie der erste Reichspräsident der Weimarer Republik. Für die einen ist er zum Verräter an der »Novemberrevolution« von 1918 geworden, für die anderen ist er der Retter, der das geschlagene Reich vor Chaos und Bürgerkrieg bewahrt hat. Aber daran besteht kein Zweifel: Friedrich Ebert wird als Parteivorsitzender der stärksten Fraktion im Reichstag in die politische Verantwortung gerufen, als Deutschland eine der größten Krisen seiner Geschichte erlebt. Ebert stellt sich dieser Verantwortung und als er 1924 stirbt, scheint es, als ob die Weimarer Republik einer stabilen politischen Zukunft entgegensieht.
Friedrich Ebert wird in Heidelberg als Sohn eines Schneidergesellen geboren. Er erlernt das Sattlerhandwerk und geht, wie damals noch
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