Die Geschichte der Deutschen
deutschen Schulen mehr besuchen. Die letzte große Fluchtwelle der deutschen Juden setzt ein. Wer bleibt, vielleicht weil er zu alt ist, weil er resigniert, keine Einreisepapiere eines Fluchtlandes beschaffen kann oder nicht das notwendige Geld zur Flucht aufbringt, wird ab 1942 in die Vernichtungslager verschleppt und in den Gaskammern von Auschwitz oder Treblinka ermordet. Schon ab 1. September 1941 müssen die Juden im Reich den gelben Stern tragen. Ihr Alltagsleben unterliegt neuen verschärften Diskriminierungen: Ausgehverbote, Verbot Theater-, Konzert- oder Kinovorstellungen zu besuchen oder täglich eng begrenzte Einkaufszeiten.
Opfer der Rassenideologie werden auch Tausende Sinti und Roma, damals Zigeuner genannt. Sie gelten als »minderwertig« und verschwinden in den Konzentrationslagern. In den Kriegsjahren ermorden die Nationalsozialisten etwa 500 000 von ihnen. Homosexuelle werden ebenfalls verfolgt und in die Lager verschleppt. Bereits am 1. Januar 1934 tritt das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« in Kraft. Es ermöglicht eine Zwangssterilisation bei Menschen, die beispielsweise unter Schizophrenie oder Epilepsie leiden. Diese rassenideologisch begründete Gewalt findet im April 1940 mit dem Start des so genannten Euthanasie-Programms seine tödliche Steigerung. Der aus dem griechischen stammende Begriff »schöner Tod« verschleiert, dass es sich hier um Mord handelt. Auf Hitlers persönlichen Befehl werden Geisteskranke und Behinderte registriert, etwa 120 000 Menschen werden von Ärzten durch Injektionen oder Giftgas umgebracht. Nach einigen öffentlichen Protesten vonseiten der Kirchen wird das Euthanasie-Programm offiziell gestoppt, aber heimlich fortgesetzt. Die Angehörigen der Euthanasie-Opfer erfahren offiziell nichts über die wahre Todesursache. Wenn überhaupt, erhalten sie eine Mitteilung, deroder |236| diejenige sei in ihrem Heim oder im Krankenhaus »an einer Lungenentzündung« gestorben.
Die meisten Menschen verschließen in jenen Jahren so gut es geht die Augen vor den ungeheuerlichen Vorgängen. In Deutschland stehen Anfang 1933 soziale und wirtschaftliche Probleme im Vordergrund. Immer noch gibt es über 6 Millionen Arbeitslose. Hitlers Erfolg hängt entscheidend davon ab, ob seiner Regierung der Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt gelingt. Es beginnt mit groß angekündigten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf dem Bau- und Forstsektor. Hitler kann dabei auf Vorhaben zurückgreifen, die schon in den Weimarer Jahren entwickelt worden und in den Schubladen der Staatsbehörden liegen geblieben sind. Das gilt auch für den legendären Autobahnbau, der noch heute so gerne auf der Habenseite des Nazi-Regimes verbucht wird. Hitler nutzt Projektstudien aus den Weimarer Jahren, schreibt die Ideen auf seine Fahnen und lässt seit 1936 fast 125 000 Menschen an den »Straßen des Führers« arbeiten. Von den geplanten 6 900 Kilometern sind bis zum Kriegsbeginn 3 300 fertiggestellt. Genutzt werden die neuen breiten Straßen damals allerdings nur wenig. Ein anderer bis heute populärer Plan bleibt nämlich weit hinter den propagierten Erwartungen zurück: Der KdF-Wagen soll ein Volkswagens für alle sein. Wer Interesse daran hat, kann Marken zum Kauf ansammeln. Die 336 000 Besteller, von denen 60 000 ihr »Kraft-durch-Freude«-Gefährt voll bezahlt haben, sehen ihr Auto jedoch nie. Mit Kriegsbeginn produziert das Wolfsburger Volkswagenwerk ausschließlich Militärfahrzeuge. Der »Käfer« wird erst in der Nachkriegszeit über die – dann eifrig befahrenen – Autobahnen rollen.
Trotzdem: Unter dem Nazi-Regime sinkt die Arbeitslosigkeit kontinuierlich. 1937 sind nur noch 0,9 Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit. Ist Hitler ein Genie der Wirtschaftspolitik? Das Geheimnis seines Erfolgs ist leicht nachvollziehbar und alles andere als ein Wunder. Hitler stellt die deutsche Industrie auf eine intensive Aufrüstungs- und Kriegsproduktion um. Die Konzerne erhalten bald große Staatsaufträge und können neue Arbeitskräfte einstellen. Auch die Autobahnen haben aus der Sicht des Regimes nur den Zweck, einen schnellen Aufmarsch der Wehrmacht zu ermöglichen.
Die Löhne bleiben zwar niedrig, aber zweifellos beschert die Normalisierung auf dem Arbeitsmarkt Hitler enorme Pluspunkte in der Bevölkerung. Die letzten Elendsjahre der Republik stecken den Deutschen noch lange in den Knochen. Finanziert werden die Staatsaufträge durch eine starke Vermehrung der Geldmenge. Der Staat druckt
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