Die Geschichte der Deutschen
aufkommenden Nebels rechtzeitig zurück nach Berlin zu fahren. Elser wird an der Grenze zur Schweiz festgenommen. Wenige Tage später gesteht er der Gestapo die Tat. Er wird als »Sonderhäftling« in ein Konzentrationslager eingeliefert. Nach dem Krieg soll er in einem Schauprozess verurteilt werden. Am 9. April 1945 wird Elser auf Befehl Himmlers in Dachau ermordet.
Die Nazis können lange nicht glauben, dass Elser ein Einzeltäter ist. Sie vermuten, er sei ein Agent des britischen Geheimdienstes. Ein Gerücht, das noch |249| lange nach dem Krieg um diesen Attentäter kursiert. Wenige Deutsche haben sich vorstellen können, dass ein Einzelner den Mut besessen hat, sich gegen die Verbrechen Hitlers aufzulehnen. Vielleicht verdrängten wir Elsers Tat so lange, weil uns der biedere, so ganz unpathetische Handwerker einen Spiegel vorhält.
Dietrich Bonhoeffer: Der evangelische Theologe und ehemalige Studentenpfarrer, 1906 in Breslau geboren, schließt sich 1935 der so genannten Bekennenden Kirche an. Sie ist aus dem Pfarrernotbund hervorgegangen. Der Pastor in Berlin-Dahlem, Martin Niemöller, hat ihn 1933 gegründet, als sich eine Mehrheit der protestantischen Amtskirche um die Gruppe der Deutschen Christen scharte. Diese arrangiert sich mit Hitler. Die Bekennende Kirche dagegen geht auf Distanz zum Regime. Vor allem wehrt sie sich dagegen, dass der neue Staat der Kirche Vorschriften machen will. Niemöller ist Mitherausgeber einer Denkschrift vom Mai 1936, die die Rechtsbrüche der Regierung und die Verfolgung der Kirchen anklagt. 1937 wird er verhaftet und bleibt bis 1945 im KZ. Dietrich Bonhoeffer übernimmt 1935 die Leitung eines illegalen Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde und erhält 1941 ein Schreib- und Redeverbot. Er schließt sich der politischen Widerstandsbewegung um den Chef der Abwehr im Kriegsministerium, Admiral Canaris, an. Im Mai 1942 trifft er als Vertreter der »deutschen Opposition« in Schweden mit dem Bischof von Chichester zusammen, um die Bedingungen einer »ehrenvollen Kapitulation« zu diskutieren. Bonhoeffer wird am 5. März 1943 verhaftet und ins KZ Flossenbürg gebracht. Wenige Tage vor Kriegsende, am 9. April 1945, werden Bonhoeffer und Canaris hingerichtet. Beide fallen der verschärften Terrorwelle zum Opfer, die nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 einsetzt. Während Canaris lange Jahre ein Anhänger Hitlers gewesen ist und unter dem Nazi-Regime eine militärische Karriere macht, ist der überzeugte Christ Bonhoeffer ein Hitler-Gegner der ersten Stunde.
Sophie Scholl: An der Universität München sammelt sich Anfang 1942 um die Geschwister Hans und Sophie Scholl ein Kreis von Studenten, die angesichts des Krieges und der Judenverfolgung dem Regime kritisch gegenüberstehen. Anders als ihr zunächst begeisterter Bruder Hans – der darum mit dem warnenden Vater in Streit gerät – steht Sophie den Nazis von vornherein skeptisch gegenüber. Sophie Scholl, 1921 in Württemberg geboren, tritt dennoch 1934 der Hitlerjugend bei, in der sie später BDM-Führerin wird. Als ihre Brüder 1937 vorübergehend verhaftet werden, entfremdet sie sich endgültig vom Hitler-Regime. Schon als Schülerin versteht sie nicht die Judenfeindschaft des Regimes. Nach dem Krieg erzählt Inge Aicher-Scholl einem Biografen ihrer Schwester |250| eine bezeichnende Geschichte: »Zur Schulklasse von Sophie in Ulm gehörten zwei Schülerinnen, die Jüdinnen waren: Luise Nathan und Anneliese Wallersteiner, Töchter aus angesehenen Ulmer Familien. Beide durften dem BDM nicht beitreten, was Sophie immer wieder empörte. ›Warum darf Luise, die blonde Haare und blaue Augen hat, nicht Mitglied sein, während ich mit meinen dunklen Haaren und dunklen Augen BDM-Mitglied bin‹, fragte sie immer wieder. Den Rassismus gegen die Juden, den verstand sie weder, noch billigte sie ihn.« Das sensible und mutige Mädchen schreibt im September 1940 an einen Freund: »Die Stellung eines Soldaten dem Volk gegenüber ist für mich ungefähr die eines Sohnes, der seinem Vater und seiner Familie schwört, in jeder Situation zu ihm oder zu ihr zu halten. Kommt es vor, dass der Vater einer anderen Familie Unrecht tut und dadurch Unannehmlichkeiten bekommt, dann muss der Sohn trotz allem zum Vater halten. So viel Verständnis für die Sippe bringe ich nicht auf. Ich finde, dass immer Gerechtigkeit höher steht als jede andere, oft sentimentale Anhänglichkeit. Und es wäre doch schöner, die Menschen
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