Die Geschichte der Deutschen
England, Russland oder Frankreich transportiert – denn auch dort gilt es, die am Boden liegende Wirtschaft wieder aufzubauen. Amerikaner und Engländer stoppen diese Eingriffe bald, in der französischen und vor allem in der russischen Zone bleiben sie noch lange auf der Tagesordnung. Das Elend im Land wird durch die Reparationspolitik noch verschärft. Das »Tausendjährige Reich« hat Deutschland nach zwölf Jahren auf eine Weise ruiniert, wie es nicht einmal der Dreißigjährige Krieg geschafft hat.
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|256| Jahre der Besatzung
Dieses Mal ist es ganz anders als nach dem Ersten Weltkrieg. Mit der militärischen Niederlage der Deutschen endet nicht nur die Herrschaft der Nationalsozialisten, wie 1918 die des Hohenzollern-Kaisers Wilhelm II., sondern das Land verliert seine politische Eigenständigkeit. Auf verschiedenen Konferenzen hatten die alliierten Regierungschefs schon früh beschlossen, dass sie die Kämpfe erst beenden, wenn die Deutschen eine »bedingungslose Kapitulation« unterschreiben.
Dieses Mal gibt es also keine Friedensverhandlungen wie 1919 in Versailles, sondern die Sieger entscheiden allein über die Zukunft der Besiegten. Zu diesem Zweck konferieren im Juni 1945 die »Großen Drei« Stalin, Churchill und der neue amerikanische Präsident Harry S. Truman in Potsdam.
Dieses Mal kann kein »Rat der Volksbeauftragten« den Alltag der Landsleute regulieren und organisieren, sondern ein Kontrollrat, geleitet von den vier Oberbefehlshabern der alliierten Streitkräfte – Frankreich ist in Potsdam in den Kreis der Siegermächte aufgenommen worden –, erlässt Verordnungen und Bestimmungen, nach denen sich die Deutschen zu richten haben.
Dieses Mal dürfen die deutschen Soldaten nicht unbehelligt zurück in ihre Heimat marschieren wie im November 1918, sondern sie sind Kriegsgefangene. Sie hungern in den Lagern der Engländer und Amerikaner, werden aber immerhin in den nächsten zwölf bis 15 Monaten entlassen. Wer in russische Hände fällt, muss dagegen den langen Marsch zur Zwangsarbeit in den Bergwerken der Sowjetunion antreten. Die Wenigen, die überleben, kommen erst 1955 wieder zurück.
Dieses Mal kann niemand vom Dolchstoß reden, der einer angeblich unbesiegten Armee von den »Vaterlandsverrätern« in der Heimat in den Rücken gestoßen worden ist. Die Niederlage ist total und auf eine Art sichtbar, dass sie niemand verleugnen kann.
Die letzte deutsche Regierung, nach Hitlers Tod eingesetzt und von Großadmiral Karl Dönitz als Reichskanzler geführt, wird in Flensburg festgenommen und am 23. Mai 1945 abgesetzt. Die alte Nazi-Garde ist entweder tot oder in der Gewalt der Alliierten. Nicht nur Hitler, auch Joseph Goebbels und Heinrich Himmler haben Selbstmord begangen. Andere sind in den letzten Kriegstagen bei dem Versuch zu fliehen umgekommen. In den ehemals besetzten Ländern – beispielsweise in Polen und der Tschechoslowakei – werden die Gauleiter oder Statthalter Hitlers, derer man habhaft wird, vor Gericht gestellt und hingerichtet.
|257| Die Alliierten errichten in Nürnberg ein Internationales Kriegesverbrechertribunal, vor dem sich vom 14. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 die 22 deutschen Hauptkriegsverbrecher verantworten müssen. Alle Angeklagten erklären sich für »nicht schuldig«. Zwölf Todesurteile werden ausgesprochen und vollzogen. Göring allerdings entzieht sich dem Henker, indem er kurz vor seiner Hinrichtung in der Gefängniszelle Gift nimmt. Langjährige Haftstrafen und drei Freisprüche ergänzen diesen bemerkenswerten Versuch, auch Politiker und Militärs für die von ihnen befohlenen Verbrechen verantwortlich zu machen. Als letzter in Nürnberg verurteilter Nazi stirbt der ehemalige Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, 1987 in der Haftanstalt von Berlin-Spandau.
Es folgen zahlreiche weitere Verfahren gegen Ärzte, Juristen oder die Manager der IG-Farben-Konzerne, in deren Laboratorien das Gift für die Vernichtungslager produziert wurde. Auch Angehörige von SS-Einsatzgruppen, der Gestapo, der SA oder Mitglieder der Obersten Heeresführung stehen vor Gericht. In den Westzonen werden nahezu 5 000 Personen verurteilt, von den 806 Todesurteilen vollstrecken die Alliierten 486. Weitere 117 000 Personen sitzen Ende 1945 in Internierungslagern der amerikanischen Zone, 68 000 in der englischen und 19 000 in der französischen. Die meisten zu Freiheitsstrafen Verurteilten sind schon bald wieder frei und setzen ihre beruflichen
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