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Die Geschichte der Deutschen

Die Geschichte der Deutschen

Titel: Die Geschichte der Deutschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Sternburg
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Karrieren in der Wirtschaft oder als Richter, Staatsanwälte und Behördenleiter fort, als seien sie nie treue Diener einer Diktatur gewesen.
    Die so genannten Entnazifizierungsverfahren, die die Besatzungsmächte durchführen, sind der Versuch, praktisch alle erwachsenen Deutschen daraufhin zu überprüfen, ob sie beispielsweise als NSDAP-Funktionäre, Journalisten, Lehrer oder Beamte nur Mitläufer waren oder durch ihr Verhalten unmittelbar Menschen geschadet haben. Die Deutschen müssen ein Formular mit 131 Fragen ausfüllen. Es wird gelogen und vertuscht. Viele lassen sich von Opfern des Regimes einen »Persilschein« ausstellen, der sie »sauber wäscht« und den Entnazifierungsausschüssen bestätigen soll, dass sie heimlich Widerstand geleistet haben.
    Die Alliierten, allen voran die Amerikaner, meinen es gut mit ihren Fragebögen, aber die Sache muss scheitern. Millionen Deutsche haben mitgemacht. Allein 8 Millionen sind Mitglied der NSDAP gewesen. Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen angesichts solcher Zahlen individuelle Gerechtigkeit schaffen zu wollen, auch wenn in der amerikanischen Zone sage und schreibe 950 000 Verfahren durchgeführt werden. Schwerverbrechen, die sich durch Aktenotizen, schriftlich festgehaltene Befehle oder Zeugenaussagen belegen lassen, kann man juristisch verfolgen. Aber wer seinen Nachbarn angezeigt hat, weil dieser |258| sich kritisch über Hitler äußerte, wer einen Passanten mit einem Judenstern angespuckt hat, weil dieser nicht wie vom Staat befohlen den Bürgersteig verließ, wer einen Hausbewohner gemeldet hat, weil dieser heimlich die Nachrichten eines Feindsenders hörte, wer einen Kommunisten oder Sozialdemokraten auf der Flucht verraten hat – wer soll ihn anklagen und wer soll ihm seine Schuld nachweisen?
    Die einfachen Verfahren werden schnell abgeschlossen, die schwierigeren brauchen Zeit. Bald aber wird die Entnazifizierungsaktion abgeblasen. Als die Deutschen über ihr Schicksal wieder selbst bestimmen dürfen, kommt ohnehin die große Amnestie. So erwischt es häufig nur die kleinen Fische, die Großen bleiben ungeschoren. Das demokratische Deutschland wird in den Behörden, in der Justiz, in den Schulen und Universitäten oder in der Wirtschaft wieder mit denen aufgebaut, die sich schon nach 1933 als zuverlässige Staatsdiener erwiesen haben. Vielleicht geht es nicht anders, soll das Land sich überhaupt wieder aus Schutt und Trümmern erheben können. Die wenigen Exilanten, die zurückkehren, oder die ehemaligen KZ-Häftlinge beobachten dies verständlicherweise mit Verbitterung.
    Aber es gibt weitaus dunklere Flecken in der Frühgeschichte der Bundesrepublik, die nicht die Besatzungsmächte zu verantworten haben. Kein Richter des Volksgerichtshofes ist nach dem Krieg wegen willkürlicher Todesurteile zur Rechenschaft gezogen worden. Im Gegenteil, der deutsche Staat gewährt den ehemaligen NS-Richtern bald eine prächtige Beamtenpension. Dabei haben sie allein zwischen 1942 und 1944 am Volksgerichtshof 4 951 Todesurteile gefällt. Die Zwangsarbeiter oder die beraubten jüdischen Geschäfts-, Vermögens- oder Kunstbesitzer müssen dagegen jahrzehntelang kämpfen, bis ihnen Entschädigungen gezahlt werden. Wenn überhaupt. Die Wehrmachtsoffiziere im Ruhestand werden vom ersten Bundestag mit großzügigen Pensionsregelungen bedacht. Aber die Witwen der einfachen Landser müssen sich mit Minimalrenten durchschlagen. Einstimmig beschließt der Bundestag im April 1951 den Paragraphen 131, nach dem ehemalige, von den Alliierten entlassene NS-Beamte einen Anspruch auf ihre alten Arbeitsplätze haben. Die Bezüge, die ihnen in der Zwischenzeit entgangen sind, werden ihnen nachgezahlt. Nur Gestapo-Beamte sind von dieser Regelung ausgenommen.
    Trotzdem gilt der Satz, dass es dieses Mal ganz anders ist als nach dem Ersten Weltkrieg. Damals überlebten die wilhelminischen Eliten die Niederlage. Sie behielten ihre Privilegien und konnten in den Jahren der Weimarer Republik fast nahtlos an ihre gesellschaftlichen und politischen Karrieren anknüpfen. 1945 ist die Macht der die Politik bestimmenden alten Führungsschichten gebrochen. |259| Der preußische Adel hat seine Güter und sein Vermögen verloren. Das Land darf zunächst keine neue Armee aufbauen. Damit hat das Offizierskorps, das so lange und unheilvoll die deutsche Geschichte gelenkt hat, seine Basis verloren. Der Schwerindustrie droht die Enteignung, die dann allerdings nicht kommt. Aber zumindest unmittelbar nach

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