Die Geschichte der Deutschen
unter den Einfluss schwärmerischer Erweckungsbewegungen. Er schließt sich den Wiedertäufern an und wendet sich vom strengen Bibeldenken Luthers ab. Für Müntzer werden das »innere Wort« und die mystische Erleuchtung zu zentralen Punkten seines Glaubens. In seiner Kampfschrift Wider das geistlose sanfftlebende Fleysch zu Wittenberg bricht er endgültig mit seinem einstigen Förderer. In Mühlhausen versucht Müntzer eine Revolte zu entfachen, muss aber fliehen. |86| Er knüpft Verbindungen zu den aufständischen Bauern und kehrt wieder nach Mühlhausen zurück. Dort setzt er eine radikal-demokratische Verfassung durch und wird mit seinen Flugblättern und Schriften der ideologische Anführer der thüringischen Bauernrebellen. In der Schlacht bei Frankenhausen werden seine Anhänger vernichtend geschlagen, Müntzer gerät in Gefangenschaft. Nach furchtbaren Folterqualen widerruft er seine Lehren und wird mit 53 seiner Anhänger am 27. Mai 1525 enthauptet.
Thomas Müntzer stellt sich im Gegensatz zu Luther ohne Einschränkungen an die Seite der Bauern, deren Elend er öffentlich anklagt: »Ach Gott, die Bauern sind arme Leute. Sie haben ihr Leben damit verbracht, zu säen und zu ernten, damit sie den Tyrannen den Hals füllen können.« Er ist ein Realist und zugleich ein Schwärmer: »Wenn die Christenheit wiederaufgerichtet werden soll, dann muss das gemeine Volk bitten und auf einen neuen Johannes warten, auf einen gnadenreichen Prediger, welcher den Glauben allenthalben erfahren hat.« In der Rolle dieses »Johannes« sieht sich Müntzer natürlich selbst. Sein Denken und Handeln wird von der Gewissheit bestimmt, dass die Zeit zur Endzeit geworden ist. Mit dieser Haltung steht er keineswegs allein. Auch Luther rechnet mit einem baldigen Weltuntergang.
Nach dem Wormser Edikt von 1521 bestimmt die Reformation die deutsche Politik. Kaiser Karl V. herrscht über ein Reich, von dem schon seine Zeitgenossen sagen, dass in ihm »die Sonne nicht untergeht«. Es umfasst Spanien mit seinen amerikanischen Kolonien, Burgund, die Niederlande und das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation«. Karl ist überzeugter Katholik und bis zu seinem freiwilligen Amtsverzicht kämpft er in den kommenden Jahrzehnten für die Wiederaufrichtung der Papst-Kirche als alleinige Verkünderin des wahren Glaubens. Er wird scheitern.
Spanien bleibt katholisch. Die dunkle Zeit der Inquisition erreicht unter Karl, vor allem aber unter seinem Nachfolger Philipp II. einen weiteren grausamen Höhepunkt. Die deutschen Kurfürsten jedoch sind gespalten. Die Landesherren, die sich zur Reformation bekennen, tun dies nicht nur aus Glaubensüberzeugung. Sie wollen es keinesfalls zulassen, dass die römische Kirche Einfluss auf die Politik in Deutschland gewinnt.
Mit der Reformation beginnt sich in Deutschland eine Sonderentwicklung abzuzeichnen. Neben Spanien ist auch Frankreich ein erzkatholisches Land. Dort ist der Katholizismus Staatsreligion. Die Protestanten sind eine unterdrückte Minderheit und die innerfranzösischen Glaubenskämpfe werden rasch und brutal zugunsten der Katholiken entschieden. In England bricht Heinrich |87| VIII. mit dem Papst und gründet eine eigene, an den Protestantismus angelehnte Staatskirche, deren Oberhaupt bis heute der englische König ist. Nur die schottischen Stuarts können für eine kurze Epoche den Katholizismus als politische Kraft nutzen. Die Niederlande werden nach der Befreiung von der spanischen Herrschaft ebenso protestantisch, wie es Dänemark und Schweden schon sind.
Deutschland dagegen bleibt konfessionell in den kommenden Jahrhunderten zweigeteilt. Nicht nur die vielen selbstständigen Fürstenherrschaften, sondern auch die Glaubensspaltung sind eine politische Hypothek, die das europäische Mittelreich anfällig für innere Unruhen und Bedrängungen von außen machen. In der Vollversammlung der Reichsstände, im Reichstag, kommt es bei fast allen Diskussionen und Gesetzesinitiativen zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden konfessionellen Lagern. Ein Dauerproblem ist die Verbindlichkeit der Beschlüsse, die gefällt werden. Die evangelischen Mitglieder legen immer wieder Protest ein (daher der Begriff Protestanten), wenn die Katholiken ihre Mehrheit rücksichtslos zur Durchsetzung eigener Interessen nutzen. Das Misstrauen der Protestanten führt schließlich 1531 zur Bildung des Schmalkaldischen Bundes. Er ist als Verteidigungsbündnis gedacht, wird aber von Karl nicht ganz zu
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