Die Geschichte der Deutschen
Weißen Berg, zur entscheidenden Schlacht. Die kaiserlichen Truppen bereiten den Böhmen eine verheerende Niederlage. Wenig später werden die Anführer des Aufstandes, es sind die bedeutendsten Vertreter des böhmischen Hochadels, auf dem Prager Marktplatz hingerichtet. Ihr Besitz wird enteignet und fällt in die Hände derjenigen böhmischen Familien, die sich gegen |91| den Aufstand ihrer Landsleute gestellt und an der Seite Ferdinands gekämpft haben. Einer der großen Gewinner der Schlacht am Weißen Berg ist Albrecht Wenzel Wallenstein, der in den kommenden Kriegsjahren als kaiserlicher Heerführer eine herausragende Rolle spielen wird. Böhmen wird rekatholisiert und die Tschechen verlieren bis 1918 ihre Eigenständigkeit.
Eigentlich ist mit dem Sieg Ferdinands die Sache erledigt. Aber nun setzt ein Mechanismus ein, der den Krieg zu einer unendlichen Geschichte machen wird. Der bayerische Herzog fordert von Kaiser Ferdinand das pfälzische Kurfürstentum, das der nach London geflohene Ex-König von Böhmen verloren hat. Bayerische Truppen marschieren in der Pfalz ein, was die protestantischen Grafen von Mansfeld und Halberstedt motiviert, in den Krieg und für die Rechte Friedrichs V. einzutreten. Die Spirale der Gewalt ist nicht mehr zu stoppen. Katholisches Kreuzzugsdenken und protestantische Untergangsängste schüren den Flächenbrand, der nun in Deutschland ausbricht.
Was dem böhmischen Krieg folgt, ist in seiner Vielschichtigkeit verwirrend und eskaliert zu einer militärischen Kampagne, an der alle wichtigen europäischen Mächte beteiligt sind. Auf deutschem Boden tragen sie lange schwelende Konflikte aus, die immer weniger mit dem konfessionellen Streit zu tun haben, der noch am Anfang des Krieges gestanden hat. Spanien und Frankreich kämpfen um die Vormacht auf dem Kontinent; Dänemark und Schweden geht es um die Herrschaft über die Ostsee; die niederländischen Generalstaaten wollen die Gunst der Stunde nutzen und erheben sich gegen die spanischen Besatzer; England stellt sich – wenn auch weitgehend passiv – auf die Seite der Holländer, denn es will Spaniens Macht nicht länger an der gegenüberliegenden Küste dulden; Kaiser Ferdinand II. vertritt die Gegenreformation; Schwedens König Gustav Adolf den Protestantismus; die Generale Wallenstein und Tilly suchen Reichtum und Ruhm. Mancher wechselt in diesen Jahrzehnten die Frontlinien. Gustav Adolf, die große Hoffnung der Protestanten, fällt 1632 in der Schlacht bei Lützen. Ferdinand II., auch er stirbt schon 1637, schickt seinem so erfolgreichen, ihm und der Katholischen Liga aber bald zu mächtig werdenden General Wallenstein Meuchelmörder ins Quartier nach Eger.
Es gibt Perioden der Ermüdung in diesem scheinbar endlosen Krieg und Zeiten neuer heftiger Kampfeshandlungen. Nicht alle Regionen Deutschlands fallen der Zerstörung gleichermaßen zum Opfer. Norddeutschland, das Hessische, die Pfalz, Bayern oder der fränkische Raum aber gehören zu den Landstrichen, die immer wieder von Verwüstungen, Plünderungen und Schlachten heimgesucht werden. Schon 1620 erscheint ein Pamphlet, das die Lage Deutschlands bitterlich |92| beklagt: »Wie viele stehen herum und warten, o Deutschland! Um sich in deine Gewänder zu teilen? Sind sie nicht schon vielen versprochen, die nur auf die Stunde deiner Zerstörung warten? Wie lange noch glaubst du im Wohlstand verbleiben zu können?«
Johann Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1621–1676)
Der Dreißigjährige Krieg ist für die Deutschen ein Trauma geblieben. Er wurde ihnen zum Symbol für mörderische Schlachten, Brandschatzungen, Folter und Vergewaltigungen. Erst die tiefen Zivilisationsbrüche der Kriege und Völkermorde des 20. und 21. Jahrhunderts haben die Bilder von diesem nun über 350 Jahre zurückliegenden Drama allmählich überdeckt. Dass er so lange mahnend und warnend in unserem Gedächtnis geblieben ist, verdanken wir neben zahlreichen Dokumenten und Flugblättern aus den Kriegsjahren nicht zuletzt auch einem Bestseller. Johann Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen veröffentlicht 1668 ein Buch unter dem Titel Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Er erzählt darin die Geschichte eines jungen Mannes, der in das Räderwerk des Krieges gerät und Zeuge des vielfachen Grauens wird, den er erzeugt. Simplizissimus, der Einfältige, wird als Zehnjähriger durch einfallende Landsknechte vom Hof seines Vaters im Spessart verjagt. Nach einigen Jahren bei einem Einsiedler
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