Die Geschichte der Deutschen
Unrecht als Provokation empfunden. Der Kaiser geht mit militärischen Kräften gegen die Evangelischen vor und besiegt sie. Aber die Lage bleibt gespannt, denn Karls Popularität in Deutschland ist inzwischen beträchtlich gesunken. Er kann nicht verhindern, dass Frankreich Metz einnimmt und bis an den Rhein vorstößt. Ohne Geld und ohne Truppen muss er in diesem Konflikt sogar über die Alpen nach Italien fliehen.
Katholiken und Protestanten blockieren sich auch nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes. Der Schock, den Luthers Erfolge in Rom auslösen, führt zu katholischen Kirchenreformen, mit denen die verloren gegangene Glaubwürdigkeit von Papst und Klerus gestärkt werden soll. Der Erfolg dieser Gegenreformation ist beachtlich. 1534 gründet der Spanier Ignatius von Loyola den Orden der Gesellschaft Jesu. Ziel der Gemeinschaft ist die Festigung und die Verbreitung des katholischen Glaubens. Die Jesuiten unterhalten eigene Schulen und Universitäten, an denen sie ihren Nachwuchs geistig ausbilden und bestens geschulte Lobbyisten des Papstes erziehen. Mitglieder des Ordens werden an vielen katholischen Königs- und Fürstenhöfen Berater und Beichtväter. Ihr Einfluss auf die Politik ist kaum zu unterschätzen.
Das Machtvakuum, das im Reich immer deutlichere Züge annimmt, nutzen Markgrafen und andere Territorialherren zu Raubzügen in den Nachbarregionen. Der Kaiser kann aus der Sicht seiner Untertanen die ihm auferlegte Rolle |88| als Friedensbewahrer in Deutschland nicht mehr glaubhaft ausfüllen. Karl braucht zudem die Stimmen der evangelischen Kurfürsten, um seine Nachfolge zu sichern. Er kann sich einen Dauerkonflikt mit den protestantischen Wahlherren nicht mehr leisten. Die Krise des Reiches erzwingt es schließlich, auf dem Augsburger Reichstag von 1555 einen Friedenskompromiss zu finden, dem auch der Kaiser zustimmen muss.
Karl V. resigniert und geht in ein Kloster. Die Verhandlungsführung in Augsburg überlässt er seinem zweiten Sohn Ferdinand. Die erhoffte Wahl des anderen Stammhalters, Philipp, zum kaiserlichen Nachfolger für das Gesamtreich, kann er bei den Kurfürsten nicht mehr durchsetzen. In Deutschland herrscht jetzt Ferdinand I. als Kaiser und König. Philipp II. erhält Spanien und die Niederlande.
Der Augsburger Religionsfriede schafft ein »Grundgesetz« mit 144 Paragraphen. Sein Hauptziel ist es, den konfessionellen Streit im Reich zu beenden. Katholiken und Lutheraner garantieren sich wechselseitige Toleranz. Die Freiheit des einzelnen Christenmenschen, sich zur Glaubensgemeinschaft seiner Wahl zu bekennen, gibt es allerdings nicht. Die Religionszugehörigkeit des Landesherren ist für seine Untertanen zwingend. Wer regiert, bestimmt, was zu glauben ist. Begehrt ein Landesbewohner dagegen auf, wird er zwar nicht mehr verbrannt, aber er muss auswandern. Siebzig Jahre wird dieser Kompromiss halten. Dann brechen die alten Wunden mit voller Macht wieder auf.
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... und der Dreißigjährige Krieg verwüstet es
Warum brechen Kriege aus? In der Regel deswegen, weil die Kontrahenten nicht mehr bereit sind, die anstehenden Probleme und Konflikte durch Verhandlungen und Kompromisse zu lösen. Habgier, Dummheit, moralische Skrupellosigkeit oder – in seltenen Fällen – Selbstverteidigung spielen seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte immer dann eine entscheidende Rolle, wenn die Diplomaten schweigen und die Waffen sprechen. Auch wenn es die gesellschaftlichen Eliten sind, die über Krieg oder Frieden entscheiden, völlig schuldlos sind die Völker nicht. Zu leicht lassen sich die Massen von Hass und Fanatismus treiben, zu schnell unterliegen sie der Propaganda der Kriegstreiber und Spekulanten, die auf mit Blut erkauften Gewinn setzen. Noch in unseren Tagen erleben wir, wie rasch es selbst in Demokratien gelingt, Feindbilder zu schaffen. Mit Lügen |89| und Halbwahrheiten rechtfertigen politische Führungen die von ihnen beschlossenen Kriegszüge. Patriotismus und nationales Pathos werden beschworen, wo es in Wirklichkeit um Öl und Wahlsiege geht.
Auch der Dreißigjährige Krieg ist keine unabwendbare Katastrophe gewesen, sondern das Werk von Menschen, denen es um Macht und Geld geht. Trotzdem ist es in seiner ersten Phase vor allem ein Konfessionskrieg, der Deutschland verwüstet und für 100 Jahre aus dem Mächteparallelogramm Europas herauskatapultiert. Wie so oft, wenn Kriege ausbrechen, ahnt auch dieses Mal wohl keiner der Kontrahenten, welche
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