Die Geschichte der Deutschen
Luthers. Wer ihn beherbergt oder mit Essen und Trinken versorgt, verfällt ebenfalls der Acht. Den Anhängern des kämpferischen Theologen droht die Konfiskation ihrer Güter. Die Schriften des Ketzers sollen verbrannt werden. Um seinen Hochschulprofessor zu schützen, lässt ihn Kurfürst Friedrich der Weise |81| auf dem Heimweg nach Wittenberg durch einen fingierten Überfall entführen und zur Wartburg bringen. Unter dem Decknamen Junker Jörg beginnt Luther hier mit seiner bahnbrechenden Bibelübersetzung.
Luther kehrt nach Wittenberg zurück. Dort nimmt er seine Lehrtätigkeit wieder auf. In den kommenden Jahren veröffentlicht er zahlreiche Schriften, die sich auch mit dem Ablauf des Gottesdienstes – er soll in deutsch gehalten werden – und des Abendmahls beschäftigen. Noch immer geht er keinem Streit aus dem Wege und meldet sich auch in tagesaktuellen politischen Fragen deutlich und nicht selten polemisch zu Wort. Über die Regeln der Kirche setzt er sich hinweg, sobald sie ihm unsinnig – das heißt: nicht von Gott, sondern von den Päpsten gewollt – erscheinen. 1525 heiratet er die ehemalige Nonne Katharina von Bora, die zusammen mit elf anderen aus dem Kloster Nimbschen bei Grimma geflohen ist. Drei Töchter und drei Söhne werden Luther und seiner resoluten Frau geboren, die er scherzhaft »mein Herr Käthe« nennt. In den letzten Lebensjahren bedrückt ihn ein Herzleiden, dem er bei einem Aufenthalt in seiner Geburtsstadt Eisleben erliegt. Luthers Grab ist in Wittenberg.
Eine außergewöhnliche, aber auch schwierige Persönlichkeit ist Luther immer geblieben. Intelligent und mutig vertritt er seinen Glauben und seine Kritik am Papsttum. Jähzornig und streitsüchtig kann er sein. Sein Humor ist häufig derb, und gegenüber Andersdenkenden argumentiert er mit einer Rücksichtslosigkeit und Härte, die nichts mehr von christlicher Milde und philosophischer Weisheit ahnen lassen. Der lebenslange Kampf ist nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Er leidet häufig an Depressionen und sieht sich ständig von Teufeln umringt.
Grundbegriffe der Lehre Luthers sind die »Gnade«, der »Glaube« und das »Wort«. Der Reformator befreit den Menschen von den Dogmen der römischen Kirche. Wir können uns nicht durch Beichte und Buße von unseren Sünden und Vergehen freikaufen, sagt Luther, allein das Geschenk der Gnade eines gerechten Gottes erlöst uns. Weil wir glauben, erfahren wir diese Gerechtigkeit Gottes, die wir nicht erfassen und bewerten können. »Der Gerechte lebt aus dem Glauben.«
Das ist theologischer Zündstoff. Buße und Beichte, Sünde und Vergebung durch Reue und Priesterspruch gehören zu den Fundamenten der Papst-Kirche. Sie, vor allem ihr Oberhaupt, steht nach eigenem Verständnis als Vermittler zwischen Gott und dem Menschen. Darauf ruht letztlich auch ihre politische Macht. Luther zerstört diese Position. Für ihn steht niemand zwischen Gott und den Christen, auch nicht der Papst. Für ihr Seelenheil brauchen die Christen keine päpstlichen Lehrsätze oder Beschlüsse von Konzilen. Nur das Wort, die |82| Bibel, führt zum Glauben. Nur daran sollen sich die Christen halten. Und deshalb übersetzt Luther auf der Wartburg die lateinische Bibel in seine Muttersprache, damit jeder deutsche Christ sich selbst über das Wort Gottes informieren kann. Sozusagen nebenher wird er dadurch zum Schöpfer der modernen deutschen Schriftsprache.
Luther ist ein Neuanfang, er überwindet das Denken des Mittelalters. Seine Individualisierung des Glaubens entmachtet die Kirche und erweckt ein verändertes Lebensgefühl. Etwas mehr als 100 Jahre danach wird die Aufklärung diesen Faden jenseits der Theologie weiterspinnen. Am Ende steht dann die Französische Revolution, die wieder einen neuen Anfang setzt, an dessen vorläufigem Ende unsere demokratischen Systeme stehen. Mit Luther, so lässt sich ein wenig pathetisch konstatieren, beginnt die Besinnung des Menschen auf seine Mündigkeit gegenüber den kirchlichen und weltlichen Autoritäten. Ein Anfang ist das, mehr nicht.
Es ist natürlich nicht Luther allein, der das Denken seiner Zeit zu revolutionieren beginnt. Seine Ideen liegen sozusagen in der Luft. Zeitgleich erklärt beispielsweise der im polnisch-deutschen Städtchen Thorn geborene Astronom Nikolaus Kopernikus einer erstaunten Welt, dass nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne kreise. Auch diese Erkenntnis erschüttert das Welt- und Schöpfungsbild der römischen Kirche.
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