Die Geschichte der Deutschen
gerät er nach Hanau und kommt dort unter die Obhut des Stadtkommandanten. Es beginnt seine abenteuerliche Reise durch den Krieg, an dem er zeitweise selbst aktiv teilnimmt. Grimmelshausen erzählt seine Geschichte in Ich-Form in der Tradition des spanischen Schelmenromans. Aber der Krieg als schicksalhafter Hintergrund der vielen Erlebnisse seines Helden bleibt immer präsent.
Der Verfasser wächst im hessischen Gelnhausen auf, einer kleinen protestantischen Reichsstadt, in der damals 1500 Menschen leben. 1634 erreicht ihn der Krieg, die Bevölkerung der Stadt flieht in die Festung Hanau. Der 14-jährige Knabe schließt sich dem Leibdragonerregiment des kaiserlichen Feldmarschalls Graf Hans von Götz an. Wie seine Romanfigur Simplicissimus nimmt er an verschiedenen Feldzügen teil. Nach dem Krieg tritt er zum Katholizismus über, heiratet eine wohlhabende Frau und erhält eine Amtsstelle im württembergischen Gaisbach. Später betreibt er eine Gastwirtschaft und erlangt schließlich 1667 die Schultheißenstelle im benachbarten Renchen. Wie am Anfang, so überschatten auch am Ende kriegerische Auseinandersetzungen sein Leben. Dieses |93| Mal ist es der niederländisch-französische Krieg, vor dessen Bedrückungen der Schultheiß seine Mitbürger zu schützen versucht. Am 17. August 1676 stirbt Grimmelshausen, der durch seinen Simplicissimus unsterblich geworden ist.
Am Ende versickert der Krieg in Landsknechtschrecken und Ermattung. 1648 wird endlich im katholischen Münster (mit Frankreich) und im protestantischen Osnabrück (mit Schweden) der Westfälische Friede unterzeichnet. Hat es Sieger gegeben? Zweifellos ist es den intriganten, schlauen und weitblickenden Kardinälen Richelieu und Mazarin als Kanzler Frankreichs gelungen, die Position ihres Landes im Krieg und dann in den Friedensverhandlungen erheblich zu stärken. Der Traum der französischen Außenpolitik, die »natürliche« Grenze am Rhein, hat sich fast verwirklicht. Unter König Ludwig XIV., der 1643 als fünfjähriges Kind den Thron besteigt und Frankreich bis zu seinem Tod 1715 regieren wird, verbreitet sich bald der Glanz des Hofes von Versailles über ganz Europa. Wie man sich dort kleidet, schminkt, welche Bücher, Schauspiele oder Opern dort diskutiert werden, das findet an allen europäischen Höfen ein lebhaftes Echo. Deutsche Groß- und Kleinherrscher pressen ihre Untertanen aus, um sich ihr eigenes Versailles bauen zu können. Französisch wird die Sprache der Gebildeten. Es beginnt nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges das französische Jahrhundert.
Spanien muss den Verlust seiner europäischen Vormachtstellung hinnehmen. Schon vor dem Friedensschluss spaltet sich Portugal ab und der Aufstand in Katalonien schwächt die Monarchie. Sie verliert in den Friedensverhandlungen endgültig die spanischen Niederlande. Der teure und verlustreiche Krieg mit Frankreich zieht sich bis 1659 hin. Spanien besitzt zwar noch seine amerikanischen Kolonien, aber die Macht endet jetzt an den schneebedeckten Gipfeln der Pyrenäen.
Der große Verlierer des langen Krieges aber ist das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation«. So jedenfalls haben es die Historiker uns berichtet. Ganz jedoch stimmt das nicht. Die Klagen über die Zerstörung des Reiches durch den schrecklichen und langen Krieg stammen vor allem aus dem 19. Jahrhundert. Es ist die Zeit der nationalen Euphorie und die Geschichtsdeuter wollen ein besonders düsteres Bild der vergangenen Jahrhunderte malen, damit das Licht der preußischen Reichs- und Einigungspolitik um so heller erstrahlen kann. Richtig ist natürlich, dass die endlosen Feldzüge zahlreiche Regionen in Deutschland ruiniert und Millionen von Menschen nicht nur um ihr Hab und Gut, sondern |94| um ihr Leben gebracht haben. Wenn Wallenstein, Tilly oder die evangelischen Heeresführer mit ihren Truppen in eine Region einmarschieren und wie Tilly zum Beispiel die Stadt Magdeburg 1631 komplett niederbrennen, holen sich die Landsknechte Proviant, Beute und Frauen von den Höfen der Bauern oder aus den Häusern der besetzten Städte. Ihre Opfer werden gefoltert, damit sie versteckte Viehherden oder Schmuckstücke preisgeben. Der Mord an Zivilisten gehört zum Alltag des Krieges. Die Menschen verrohen, Elend breitet sich aus. Nach 30 Jahren Krieg ist die Bevölkerung um ein Drittel geschrumpft, ganze Landstriche sind entvölkert. Viele Felder liegen brach und verwildern. Die Reichsstädte sind nur noch ein Schatten ihrer
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