Die Geschichte der Deutschen
unterschiedlichen politischen und ideologischen Interessen geleiteten Männer schließlich verabschieden, ist ein beachtlicher Katalog demokratischer Grundrechte. Mit ihm, der 14 Artikel aus 60 Paragrafen enthält, findet Deutschland endlich Anschluss an die westeuropäische Demokratie. Die Grundrechte der Paulskirche gehen 1919 in die Verfassung der Weimarer Republik und 1949 in das Bonner Grundgesetz ein. Das Hauptgewicht liegt auf der Sicherung der persönlichen und der politischen Freiheiten. Presse-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit werden garantiert. Gewerbefreiheit und Niederlassungsrecht treten hinzu. Das Parlament erklärt alle Lehens-, Untertanen- und Hörigkeitsverbände, die grundherrliche Polizei, persönliche Frondienste und Abgaben für aufgehoben. Für die Bauern endet 1848 in Deutschland verfassungsrechtlich das Mittelalter.
Die Reichsverfassung wird am 28. März 1849 vollendet. Am 14. April 1849 nehmen 28 Länder sie ohne Einschränkungen an. Es fehlen Österreich und Preußen, Bayern, Sachsen und Hannover. An diesen Staaten wird das Parlament in der Paulskirche machtpolitisch scheitern. Sie tragen die Verantwortung für den autoritären Weg, den Deutschland in den nächsten knapp 100 Jahren gehen wird.
Nach dem Willen der Mehrheit soll es künftig wieder einen deutschen Kaiser geben. Natürlich eingebunden in ein konstitutionelles, an die Verfassung gebundenes Regierungssystem. Diese Ehre wird dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. angetragen. Er lehnt hochmütig ab. Diese Krone »mit ihrem Ludergeruch von Revolution«, diesen »imaginären Reif aus Dreck und Lehm gebacken« könne ein »legitimer König von Gottes Gnaden« nicht annehmen, lässt der Mann seine Vertrauten wissen. Rückwärtsgerichtet hält er an der sakralen Fürstenherrlichkeit des Mittelalters fest.
Die Revolution von 1848 und die Männer in der Paulskirche haben sich nicht durchsetzen können. Die Gegenkräfte beginnen schon nach einem kurzen Augenblick des Schreckens ihre Kräfte zu sammeln. Es ist nicht die Unfähigkeit zum Kompromiss gewesen, die die Parlamentarier in die Defensive getrieben hat. Ihr Beitrag zum Scheitern ist in erster Linie ihre nationale Unvernunft, die sie immer angreifbarer macht. In der Euphorie der Stunde fordern sie ein Deutschland, das von vier Meeren umgrenzt sein soll. Wo immer deutsch gesprochen |138| wird, so tönen die Redner in der Paulskirche, da hat die deutsche Flagge zu wehen. Es ist ihnen offenbar gleichgültig, ob es da möglicherweise um Gebiete geht, in denen mehrheitlich wie in der Region Posen polnische, in Böhmen tschechische oder in der Provinz Limburg niederländische Bewohner leben. Die Frankfurter Abgeordneten werden zum Opfer des in ganz Europa grassierenden nationalistischen Zeitgeistes.
In den beiden nördlichen Herzogtümern Schleswig und Holstein herrschen seit langem komplizierte Machtverhältnisse. 1846 erklärt der dänische König Christian Schleswig wegen schwieriger Erbfolgefragen im Königshaus für einen Teil Dänemarks. Damit droht eine Abspaltung dieses Landes von Holstein. Als die Revolution in Deutschland beginnt, fordert die deutsche Bewegung in Schleswig und Holstein Mitglied des Deutschen Bundes zu werden. Der Bundestag stimmt dem zu. Kopenhagen erklärt die Annexion Schleswigs. Eine provisorische deutsche Regierung in Kiel bittet Preußen um Hilfe. Friedrich Wilhelm hofft auf eine nationale Führungsrolle Berlins und lässt seine Armee in Jütland einmarschieren. Die Paulskirchenversammlung jubelt. Aber Russland und Großbritannien blicken ohnehin kritisch auf das, was sich da in Sachen deutsche Einigung tut. Voller Sorge, Preußen könne sich die für die Kriegs- und Handelsschifffahrt strategisch wichtige Region am Sund einverleiben, zwingen sie Friedrich Wilhelm mit erheblichem diplomatischen Druck zum Rückzug seiner Truppen. Berlin will einen großen Krieg vermeiden und lenkt ein. Das Parlament ist entrüstet und erklärt die Schleswig-Holstein-Frage zu seiner Sache. Nur hat es leider keine eigenen Truppen. Und da Preußen unbeirrt von den nationalen Rufen aus Frankfurt Waffenstillstandsverhandlungen aufnimmt, sind die Parlamentarier in der Paulskirche blamiert. Preußen unterzeichnet ein Abkommen, das die Bedingungen der Nationalversammlung völlig unberücksichtigt lässt. Schließlich müssen die Frankfurter das Friedensabkommen in einer Abstimmung auch noch ausdrücklich billigen. Nichts kann die Schwäche der Demokratie deutlicher zeigen
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