Die Geschichte der Deutschen
Schicksal entscheidet. »Ich fühle mich wie ein kurbrandenburgischer Vasall, der seinen Lehnsherr in Gefahr sieht«, erklärt er dem König pathetisch. Geschickter hätte er Wilhelms konservative Seele nicht berühren können. Auf seine Fragen, was er als Leiter der Regierung zu tun gedenke, macht Bismarck ohne wenn und aber klar, dass er als Ministerpräsident die Heeresvorlage durchsetzen werde. Es gehe hier – Wilhelm ist entzückt – um ein Prinzip: »Königliches Regiment oder Parlamentsherrschaft.« Das überzeugt den Monarchen und Bismarck ist am Ziel. Er wird Regierungschef.
Das Gespräch ist der Anfang eines langen Bündnisses zwischen Wilhelm und seinem Ministerpräsidenten und späteren Kanzler. Bismarck kann sich in den ununterbrochenen politischen Kämpfen und Krisen seiner Amtszeit letztlich nur durchsetzen, weil es ihm immer wieder gelingt, die Unterstützung des Königs und Kaisers für seine Politik zu gewinnen. Es gibt zwischen dem Monarchen und Bismarck ständig heftige Auseinandersetzungen. Der geradlinige und die diplomatischen Finessen seines obersten Helfers nicht durchschauende Wilhelm steht vielen seiner Entscheidungen ablehnend gegenüber. Der Streit löst bei Bismarck häufig nervöse Weinkrämpfe und Rücktrittsdrohungen aus. Am Ende jedoch kann er den König stets aufs Neue überzeugen und ihm die Zustimmung zu seinen Plänen abringen. Als Wilhelm stirbt, muss auch Bismarck bald gehen. In Preußen hat bis 1918 der Monarch das letzte Wort.
|157| Bismarck führt die preußische Regierung in den nächsten vier Jahren gegen eine parlamentarische Mehrheit und vielerlei Hemmnisse. Der Staatshaushalt ist ohne verfassungsmäßige Billigung. Der Ministerpräsident steht mehrfach kurz vor seinem politischen Sturz, aber er kann den häufig verzagten und zögernden König zum Durchhalten bewegen. Die Sprache im Abgeordnetenhaus wird zunehmend schärfer. Bismarck greift die Liberalen an, droht unverschleiert mit einem Staatsstreich, und die Tumulte in den Sitzungen häufen sich. In der Außenpolitik stellt sich Preußen bei der Niederschlagung eines polnischen Aufstandes auf die Seite Russlands. Dabei haben sich die Abgeordneten in dieser Frage für eine klare Neutralität ausgesprochen.
Den ersten Durchbruch für Bismarck bringt der Krieg, den Preußen und Österreich 1864 gemeinsam gegen Dänemark führen. Kopenhagen versucht, die bestehenden Vereinbarungen über Schleswig-Holstein für ungültig zu erklären, worauf Wien und Berlin ihre Soldaten marschieren lassen. Die Preußen erstürmen die Düppeler Schanzen. Es folgen Friedensverhandlungen, und Dänemark muss die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an die beiden Siegermächte abtreten. Der Krieg um Schleswig-Holstein ist in Deutschland ungemein populär. Er öffnet wieder einmal alle nationalen Schleusen. Der Sieg stärkt daher Bismarcks Prestige und entlastetet ihn in der Innenpolitik. Auch dass er die Pläne Wiens für eine österreichische Zollunion mit den deutschen Südstaaten zu verhindern weiß, wird im preußischen Abgeordnetenhaus wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Sofort steuert der preußische Ministerpräsident auf sein nächstes Ziel zu: die Annexion der von Dänemark losgelösten Herzogtümer. Ihm ist klar, dass er dafür nie die freiwillige Zustimmung Österreichs erhalten wird. Eine Lösung, so Bismarcks Kalkül, kann nur ein neuer Krieg bringen. Er soll gleichzeitig auch den seit den Tagen Friedrichs des Großen und der Kaiserin Maria Theresia schwelenden Dualismus Österreich-Preußen beenden. Er will Österreich aus Deutschland herausdrängen. Seinem Sekretär diktiert er: »Die schleswig-holsteinische Frage und die große deutsche Frage hängen so eng zusammen, dass wir, wenn es zum Bruch kommt, beide zusammen lösen müssen.«
Bismarck trickst Österreich aus. Im Bundestag lässt er den preußischen Gesandten einen Antrag vorlegen, in dem Berlin für Deutschland freie und direkte Wahlen für die Zusammensetzung eines Nationalparlaments fordert. Nichts liegt Bismarck ferner, aber er weiß, dass Österreich als Vielvölkerstaat eine solche Wahl nicht überleben würde und den Antrag ablehnen muss. Als am 7. Mai 1866 in Berlin auch noch ein Attentäter auf Bismarck schießt und der Ministerpräsident |158| ohne Schaden davonkommt, schlagen die Wogen hoch. Am 1. Juni überträgt Österreich die Entscheidung über die Zukunft Schleswig-Holsteins an den Bundestag. Preußen antwortet vertragswidrig mit dem
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