Die Geschichte der Deutschen
auch mit Hilfe eines Staatsstreichs.
Otto von Bismarck (1815–1898)
Der neue preußische Ministerpräsident wird die Krise bewältigen, drei Kriege auslösen, das Reich einigen und es gleichberechtigt neben die anderen europäischen Großmächte stellen. Dies alles in einem Zeitraum von knapp zehn Jahren. Dann verwaltet er das neue Kaiserreich und weist die sozialen und liberalen Kräfte, die sich gegen die politische Entmündigung des Volkes wehren, mit vielen parlamentarischen Tricks und harter Hand in ihre Schranken. Die Mehrheit der Deutschen jubelt dem Reichseiniger zunächst zu. Als er ewig zu regieren scheint, Arbeiter und Katholiken verfolgen lässt und immer starrer an seinen konservativen Dogmen festhält, wird er ihnen allmählich lästig. 27 Jahre ist Bismarck die mächtigste politische Figur in Deutschland. Nach seinem Sturz setzt ein Nachruhm ein, wie ihn kein anderer deutscher Politiker bis dahin erfahren hat. Bismarck-Denkmäler schießen wie die Pilze aus dem Boden. Professoren und Studentendelegationen ziehen vor seinen Alterssitz Friedrichsruh und halten Preisreden. Veteranenvereine erzählen sich immer wieder dieselben Geschichten über den Mann, der sie nach Paris geführt hat. Seine Geburtstage werden zu Gedenktagen. Die Deutschen bewundern ihren Eisernen Kanzler bald wieder wie keinen sonst. Er selbst hat nicht allzu viel übrig für seine Landsleute. Ein Menschenverächter ist er in seinem langen Leben ohnehin geworden.
Geboren wird Otto von Bismarck in Schönhausen, nahe der Elbe. Aufgewachsen ist er aber auf dem Gut Kniephof in Pommern, das der Vater ein Jahr später kauft. Die Bismarcks gehören zum Landadel der Altmark, nicht besonders reich, aber stolz auf das brandenburgisch-preußische Erbe und die lange Offizierstradition. Die Mutter stammt aus einer Familie von Gelehrten und hohen Beamten. Die freie Kinderzeit im ländlichen Pommern endet, als Bismarck sechs Jahre alt ist. Die Mutter, voller Bildungsehrgeiz für ihre Kinder, schickt Otto nach Berlin. Er besucht eine »Lehranstalt« und anschließend das Gymnasium, wo er sein Abitur macht. Ein schlechter Schüler ist er und lange einsame |154| Jahre fern dem geliebten Landleben bringt er in Berlin zu. Das Studium in Göttingen entschädigt ihn: Er trinkt viel, lernt wenig und macht sich als »toller Junker« bei den Kommilitonen einen Namen. Nach dem juristischen Staatsexamen, das er in Berlin ablegt, wird er Regierungsreferendar in Aachen und in der preußischen Hauptstadt. Er langweilt und verliebt sich, nimmt lange Urlaube und verliert große Summen am Spieltisch. Schon nach zwei Jahren verlässt er den Staatsdienst.
Bismarck wird Landwirt in Kniephof und Schönhausen. Auch hier bleibt er der »tolle Junker« und mischt sich mit erzkonservativen Bemerkungen in die politische Diskussion ein. Im Grunde ist er auf der Suche. Unbefriedigt von seiner Tatenlosigkeit in Hinterpommern, ist er innerlich spannungsgeladen, was seine Aggressivität und seine gelegentlichen Ausbrüche aus den Konventionen seines Standes erklärt. Seine Umgebung hält ihn für arrogant und »einen Ausbund an Wildheit«. 1842 kommt er mit dem Gutsbesitzer Adolf von Thadden-Trieglaff in Kontakt, der einen Pietistenkreis um sich schart. Hier findet Bismarck so etwas wie Ruhe, beginnt sein Leben auf neue Art zu reflektieren. Und er entwickelt eine große Zuneigung zur Tochter des Gutsherrn, Maria von Thadden, die mit einem Jugendfreund des Junkers verlobt ist. Maria ist vom Charme ihres Bewunderers angetan, hält aber an ihrem Verlobten fest. Sie versucht erfolgreich Bismarcks Interessen auf ihre Freundin Johanna von Puttkammer zu lenken. Im November 1846 stirbt die inzwischen verheiratete Maria, und die Erschütterung über diesen Tod verändert Bismarck. Er wird ernster und religiöser, auch wenn es sicher kein »Erweckungserlebnis« gewesen ist, wie er und manche seiner frühen Biografen es andeuten.
1847 heiratet er Johanna. Sie ist eine fromme, ein wenig schüchterne und schlichte Frau. Keine Schönheit, aber er findet in dieser Ehe einen großen Halt. Die liebevollen Briefe an Johanna zeigen den Menschen Bismarck von seiner besten Seite. Hier öffnet er sich wie sonst nirgendwo. Der Rückzug in die Familie wird später für den überarbeiteten, sich mit tausenderlei Intrigen und Entscheidungen herumplagenden Kanzler zum lebenswichtigen Quell. Derb ist der Ton am Familientisch. Über andere zu spotten und zu lästern macht allen Bismarcks, auch Johanna,
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