Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.
Drache siegreich bleibe, werde er zuerst nach Ephel Brandir ziehen. Deshalb hielten sie voller Angst Ausschau nach dem geringsten Anzeichen einer Bewegung, aber niemand war so mutig, zum Kampfplatz hinunterzusteigen, um Genaues zu erfahren. Und Níniel saß bewegungslos da, außer dass Schauer sie überliefen und sie ihre Glieder nicht zur Ruhe bringen konnte; denn als sie Glaurungs Stimme hörte, erstarrte ihr Herz, und sie spürte, wie das Dunkel wieder über sie kroch.
So fand sie Brandir, der schließlich langsam und müde zur Brücke über den Celebros kam. Den ganzen langen Weg war er allein mit seiner Krücke gehumpelt, und es waren von seinem Haus mindestens fünf Wegstunden zu gehen. Angst um Níniel hatte ihn angetrieben, und die Nachricht, die ihm jetzt zuteil wurde, war so schlimm, wie er befürchtet hatte. »Der Drache hat den Fluss überquert«, erzählten ihm die Männer, »und das Schwarze Schwert ist sicher tot und alle, die mit ihm gegangen sind.« Dann stand Brandir bei Níniel und begriff ihren Kummer, und er hatte Mitleid mit ihr; doch zugleich dachte er: »Das Schwarze Schwert ist tot, und Níniel lebt.« Und ihn schauderte, denn plötzlich schienen die Wasser des Nen Girith Kälte zu verströmen, und er warf Níniel seinen Mantel über. Doch Worte fand er nicht, und sie schwieg ebenfalls.
Die Zeit verging, und noch immer stand Brandir stumm neben ihr, spähte in die Nacht und lauschte. Doch er konnte nichts sehen und nichts hören außer dem Tosen der stürzenden Wasser von Nen Girith, und er dachte: »Jetzt ist derDrache gewiss verschwunden und in Brethil eingedrungen.« Doch er hatte mit seinem Volk kein Mitleid mehr; es war ein Volk von Narren, das seinen Rat verlacht und ihn verspottet hatte. »Soll der Drache zum Amon Obel ziehen. Dann wird Zeit genug sein, zu fliehen und Níniel wegzuführen.« Wohin, hätte er nicht sagen können, denn er war nie über die Grenzen Brethils hinausgelangt.
Schließlich beugte er sich nieder, berührte Níniels Arm und sagte: »Die Zeit vergeht, Níniel. Komm! Es ist Zeit zu gehen. Wenn du willst, so lass mich dich führen.«
Darauf stand sie schweigend auf, nahm seine Hand, und sie gingen über die Brücke und den Pfad hinunter, der zu den Teiglin-Stegen führte. Jene aber, die sie sahen, wie sie sich schattengleich durch das Dunkel bewegten, wussten nicht, wer sie waren, und beachteten sie nicht. Und als sie ein kleines Stück durch die stillen Bäume gegangen waren, stieg hinter dem Amon Obel der Mond auf, und die Waldlichtungen füllten sich mit einem grauen Licht. Da blieb Níniel stehen und sagte zu Brandir: »Ist dies der Weg?«
Und er antwortete: »Was heißt Weg? All unsere Hoffnung in Brethil ist zu Ende. Wir haben keinen Weg. Es gilt nur, dem Drachen zu entgehen und aus seiner Reichweite zu fliehen, solange noch Zeit dazu ist.«
Níniel blickte ihn verwundert an und sagte: »Hast du dich nicht bereit erklärt, mich zu ihm zu führen? Oder wolltest du mich täuschen? Das Schwarze Schwert war mein Geliebter und mein Gatte, und nur ihn will ich suchen. Tu du jetzt, was du willst, ich muss mich beeilen.«
Und während Brandir noch einen Augenblick erstaunt dastand, eilte sie von ihm fort; und er schrie ihr nach: »Warte, Níniel! Geh nicht allein! Du weißt nicht, was dicherwartet. Ich werde mit dir kommen!« Doch sie achtete nicht auf ihn und rannte weg, als sei ihr Blut auf einmal in Hitze geraten, das vorher kühl gewesen war. Und obwohl er ihr folgte, so schnell er konnte, verlor er sie bald aus den Augen. Da verfluchte er sein Schicksal und seine Schwäche, aber umkehren wollte er dennoch nicht.
Jetzt ging der Mond weiß am Himmel auf, und er war fast voll, und als Níniel vom Hochland in das Land in der Nähe des Flusses kam, war ihr, als riefe die Gegend Erinnerungen in ihr wach, und sie fürchtete sich. Sie war nämlich zu den Teiglin-Stegen gekommen, und vor ihr erhob sich Haudh-en-Elleth fahl im Mondlicht und mit einem schwarzen Schatten, der schräg darübergeworfen wurde; und etwas Furchtbares ging von diesem Grabhügel aus.
Da wandte sie sich mit einem Schrei ab und floh südwärts den Fluss entlang, und im Laufen warf sie ihren Mantel fort, als werfe sie damit die Dunkelheit ab, die sie umklammerte. Darunter trug sie ein weißes Gewand, und es schimmerte im Mondschein, als sie durch die Bäume huschte. So sah sie Brandir vom Abhang des Hügels, und er wandte sich seitwärts, um ihr den Weg abzuschneiden, wenn es möglich war.
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