Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.
Turambar zurück, und er rief: »Soll ich dich hassen oder Mitleid mit dir haben? Aber du bist tot. Ich schulde dir keinen Dank, der du mir alles genommen hast, was ich hatte oder haben wollte. Doch mein Volk ist in deiner Schuld. Es ziemt sich, dass es durch mich erfährt, was geschehen ist.«
Und so begann er zum Nen Girith zurückzuhumpeln, wobei er schaudernd den Ort mied, wo der Drache lag. Als er den steilen Pfad erneut hinabstieg, stieß er auf einen Mann, der durch die Bäume lugte und sich zurückzog, als er Brandir erblickte. Brandir aber hatte das Gesicht im Schein des sinkenden Mondes erkannt.
»Ha, Dorlas!«, rief er. »Welche Kunde kannst du mir bringen? Wie bist du lebend davongekommen? Was ist mit meinem Verwandten geschehen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Dorlas mürrisch.
»Das ist verwunderlich«, erwiderte Brandir.
»Wenn du es wissen willst«, sagte Dorlas, »so wisse, dass das Schwarze Schwert uns in der Dunkelheit die Schnellen des Teiglin überqueren lassen wollte. Ist es verwunderlich, dass ich es nicht konnte? Ich kann besser mit der Axt umgehen als mancher andere, aber habe ich die Füße einer Ziege?«
»Also gingen sie ohne dich weiter und auf den Drachen los?«, fragte Brandir. »Doch was geschah, als sie drüben waren? Zumindest bist du doch in der Nähe gewesen und hast sehen können, was geschah?«
Aber Dorlas gab keine Antwort und starrte Brandir nur mit hasserfüllten Augen an. Da verstand Brandir und wusste plötzlich, dass dieser Mann seine Gefährten im Stich gelassen und sich, von Scham übermannt, in den Wäldern versteckt hatte. »Schande über dich, Dorlas!«, sagte er. »Du bist der Urheber unserer Leiden: Du hast das Schwarze Schwert angestachelt, du hast den Drachen über uns gebracht, mich dem Spott ausgesetzt, Hunthor in den Tod getrieben, und dann bist du als Feigling in die Wälder geflohen!« Und während er sprach, kam ihm ein zweiter Gedanke, und er sagte in großer Wut: »Warum brachtest du keine Nachricht? Es war die letzte Buße, die du tun konntest. Hättest du es getan, hätte Frau Níniel sich nicht selbst aufmachen müssen. Sie hätte den Drachen niemals sehen müssen. Sie könnte noch leben. Dorlas, ich hasse dich!«
»Behalte deinen Hass!«, erwiderte Dorlas. »Er ist so schwach wie alle deine Ratschläge. Wäre ich nicht gewesen, wären die Orks gekommen und hätten dich wie eine Vogelscheuche in deinen Garten gehängt. Du bist selber ein Feigling!« Und mit diesen Worten, durch seine Scham zum Zorn entflammt, holte er mit seiner großen Faust zu einem Schlag gegen Brandir aus. Und so endete sein Leben, bevor noch der Blick des Erstaunens aus seinen Augen wich; denn Brandir zog sein Schwert und versetzte ihm den Todesstoß. Einen Augenblick lang stand er zitternd da, vom Blut angeekelt,dann warf er sein Schwert zu Boden, wandte sich ab und ging, auf die Krücke gestützt, seines Weges.
Als er zum Nen Girith kam, war der fahle Mond untergegangen, und die Nacht schwand vor dem Morgen, der im Osten aufstieg. Die Leute, die sich noch immer bei der Brücke zusammendrängten, sahen ihn wie einen grauen Schatten durch die Dämmerung kommen, und einige fragten ihn erstaunt: »Wo bist du gewesen? Hast du Níniel gesehen? Frau Níniel ist nämlich verschwunden.«
»Ja, sie ist verschwunden«, sagte er. »Verschwunden, fort, um nie zurückzukehren! Doch ich bin gekommen, um euch Kunde zu bringen. Hört, Leute von Brethil, und sagt selbst, ob es jemals eine solche Geschichte gab, wie ich sie euch verkünde! Der Drache ist tot, doch tot ist auch Turambar und liegt an seiner Seite. Und das sind gute Nachrichten, ja, es sind wahrlich beides gute Nachrichten.«
Da murrten die Leute und wunderten sich über seine Worte, und einige sagten, er rede irre. Aber Brandir rief: »Hört mich bis zu Ende an! Auch Níniel ist tot, die ihr liebtet und die mir das Teuerste war. Sie sprang vom Rand des Hirschsprunges hinab, und der Rachen des Teiglin hat sie verschlungen. Sie ist fort, denn das Licht des Tages war ihr verhasst geworden. Bevor sie aber schied, erfuhr sie dies: Beide waren sie Húrins Kinder, Bruder und Schwester. Mormegil wurde er genannt, Turambar nannte er sich selbst und verbarg seine Herkunft: Túrin, Húrins Sohn. Wir nannten sie Níniel und kannten ihre Vergangenheit nicht: Sie war Nienor, Húrins Tochter. Der Schatten ihres dunklen Schicksals war es, der sie nach Brethil führte. Hier hat sich ihr Schicksal erfüllt, und niemals wieder wird dieses
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