Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
geschah, jedenfalls brachte er mich, nachdem er sich einverstanden erklärt hatte, alsbald aufzubrechen, zu verschiedenen Kaufleuten, die sein Haus belieferten; er nötigte mich, einige Stoffe auszusuchen, die sehr viel mehr kosteten, als auszugeben ich mir vorgenommen hatte, und da ich mich anschickte, sie zu bezahlen, untersagte er den Kaufleuten strikt, auch nur einen Sou von mir anzunehmen. Seine Zuvorkommenheit war von so feinfühliger Art, dass ich meinte, sie annehmen zu können, ohne mich dafür schämen zu müssen. Wir machten uns gemeinsam auf den Weg nach Chaillot, wo ich weniger aufgewühlt eintraf, als ich es bei meinem Aufbruch gewesen war.
Da die Erzählung des Chevalier des Grieux bis zu diesem Punkt länger als eine Stunde gedauert hatte, bat ich ihn, eine kleine Pause einzulegen und uns beim Nachtmahl Gesellschaft zu leisten. Aus unserem aufmerksamen Zuhören durfte er schließen, dass wir an seinem Bericht Gefallen gefunden hatten. Er versicherte, dass wir in der Fortsetzung seiner Geschichte noch Bewegenderes hören würden, und als wir unsere Mahlzeit beendet hatten, erzählte er weiter wie folgt.
ZWEITER TEIL
Meine Anwesenheit und die Aufmerksamkeiten des Monsieur de T… nahmen allen Kummer fort, der Manon noch bedrückt haben mochte. «Lass uns die Schrecken der Vergangenheit vergessen, meine teure Seele», sagte ich zu ihr bei meiner Ankunft, «und beginnen wir aufs Neue zu leben, glücklicher denn je. Im Grunde genommen ist die Liebe ein guter Lehrmeister; das Schicksal kann uns gar nicht so viele Schmerzen bereiten, wie es uns Wonnen kosten lässt.»
Unser Nachtmahl war eine Szene wirklicher Freude. Mit Manon und meinen hundert Pistolen war ich stolzer und zufriedener als der reichste Steuerpächter von Paris mit seinen angehäuften Schätzen. Man muss seinen Reichtum an den Möglichkeiten messen, die man hat, um sich seine Wünsche zu erfüllen; mir blieb kein einziges Verlangen ungestillt; selbst für die Zukunft war mir wenig bange. Ich war beinahe sicher, dass mein Vater keine Umstände machen würde, mir die Mittel für ein ehrenhaftes Leben in Paris zu geben, schließlich hatte ich mein zwanzigstes Lebensjahr erreicht und es stand mir zu, mein mütterliches Erbe anzutreten. Ich verheimlichte Manon nicht, dass sich mein Geld auf hundert Pistolen beschränkte. Das war genug, um in Ruhe ein günstigeres Geschick abzuwarten, das kaum ausbleiben konnte, sei es aufgrund meiner Erbansprüche oder der Mittel, die mir das Glücksspiel eintrug.
Und so dachte ich während der ersten Wochen an nichts anderes als mein Leben zu genießen; mein Ehrgefühl wie auch ein Rest an Vorsicht hinsichtlich der Polizei bewirkten, dass ich es einen Tag um den anderen verschob, mit den Kumpanen aus dem Hôtel de T… wieder anzuknüpfen, und ich mich darauf beschränkte, in gewissen weniger übel beleumdeten Gesellschaften zu spielen, wo mir die Gunst des Schicksals die Erniedrigung ersparte, aufs Falschspiel zurückzugreifen. Ich verbrachte einen Teil des Nachmittags in der Stadt, und zum Souper kehrte ich nach Chaillot zurück, recht häufig in Begleitung von Monsieur de T…, dessen Freundschaft zu uns Tag für Tag zunahm.
Manon ersann Mittel gegen die Langeweile. Sie knüpfte Bekanntschaft mit mehreren jungen Damen aus der Nachbarschaft, die im Frühling hierherkamen. Spazierfahrten oder die kleinen, der Weiblichkeit vorbehaltenen Tätigkeiten bildeten abwechselnd ihre Beschäftigung. Eine Spielrunde, bei der sie sich auf Höchstgrenzen für ihre Einsätze geeinigt hatten, erbrachte die Kosten für eine Kutsche, mit der sie Ausflüge in den Bois de Boulogne unternahmen, und bei meiner Rückkehr am Abend fand ich Manon schöner, zufriedener und leidenschaftlicher denn je.
Gleichwohl zogen einige dunkle Wolken herauf, die das Gebäude meines Glücks zu bedrohen schienen. Doch sie lösten sich in Wohlgefallen auf, und die ausgelassene Stimmung Manons bereitete der Episode ein so komisches Ende, dass ich noch heute in der süßen Erinnerung schwelge, in der sich für mich ihre Zärtlichkeit und die Anmut ihres Geistes verkörpert.
Der einzige Diener, aus dem unser gesamtes Gesinde bestand, nahm mich eines Tages beiseite, um mir unter großer Verlegenheit zu sagen, er habe mir ein Geheimnis von großer Wichtigkeit mitzuteilen. Ich ermutigte ihn, frei heraus zu sprechen. Nach einigen Umschweifen ließ er mich wissen, dass ein fremder Herr offenbar in großer Liebe zu Mademoiselle Manon entbrannt sei. In
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