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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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Ungeduld und mit Klagen über mein langes Ausbleiben vor mich hingetreten. Ohne eine Entgegnung abzuwarten, überhäufte sie mich mit Zärtlichkeiten, und als wir allein waren, machte sie mir heftige Vorwürfe über meine neue Angewohnheit, so spät nach Hause zu kommen.
    Da mein Schweigen ihr Gelegenheit gab fortzufahren, setzte sie hinzu, ich hätte seit drei Wochen keinen einzigen Tag ganz und gar mit ihr verbracht; sie könne derlei lange Trennungen nicht ertragen; sie verlange wenigstens hin und wieder einen solchen Tag, und schon den folgenden wolle sie mich vom Morgen bis zum Abend bei sich haben.
    «Ich werde bei Ihnen sein, zweifeln Sie nicht daran», gab ich in recht schroffem Ton zurück. Sie schenkte meiner Verstimmung wenig Beachtung, und in ihrem freudigen Überschwang, der mir in der Tat von besonderer Lebhaftigkeit schien, gab sie mir tausenderlei gefällige Schilderungen davon, wie sie ihren Tag verbracht habe.
    «Sonderbares Mädchen!», sagte ich mir. «Was habe ich von diesem Vorspiel zu erwarten?» Die Geschichte unserer ersten Trennung kam mir wieder in den Sinn. Doch glaubte ich, auf dem Grunde ihrer Freude und ihrer Zärtlichkeiten einen Abglanz der Wahrheit zu erkennen, der den äußeren Schein bestätigte.
    Es fiel mir nicht schwer, die Traurigkeit, derer ich mich während unserer Abendmahlzeit nicht erwehren konnte, auf die Verluste im Spiel zu schieben, die ich zu beklagen hätte. Ich hatte es als äußersten Glücksfall angesehen, dass der Gedanke, Chaillot am folgenden Tag nicht zu verlassen, von ihr selbst ausgegangen war. So gewann ich Zeit für meine Überlegungen. Meine Anwesenheit enthob mich aller möglichen Befürchtungen für den folgenden Tag, und obschon ich nichts bemerkte, was mich veranlasst hätte, meine Entdeckungen zu offenbaren, war ich bereits entschlossen, meinen Wohnort am folgenden Tag in die Stadt zu verlegen, und zwar in ein Viertel, wo ich mit Fürsten nichts zu schaffen haben würde. Dieses Vorhaben bescherte mir zwar eine ruhigere Nacht, erlöste mich aber nicht von der Qual, wegen einer neuerlichen Untreue zittern zu müssen.
    Als ich erwachte, erklärte mir Manon, auch wenn wir den Tag in unserer Wohnung verbringen würden, sei es ihr nicht recht, dass ich mein Äußeres deswegen vernachlässigte, und sie selbst wolle mir das Haar frisieren. Ich hatte sehr schönes Haar. Dieses Vergnügen hatte sie sich schon einige Male gegönnt; doch diesmal gab sie sich mehr Mühe als je zuvor. Um sie zufriedenzustellen, musste ich mich vor ihren Frisierspiegel setzen und allerlei Künsteleien über mich ergehen lassen, die sie zu meinem Putz ersann. Während dieser Tätigkeit hieß sie mich oftmals ihr das Gesicht zuwenden, und sich mit beiden Händen auf meine Schultern stützend, betrachtete sie mich eingehend und forsch. Anschließend verlieh sie mit ein oder zwei Küssen ihrer Zufriedenheit Ausdruck und hieß mich meine vorige Positur wieder einnehmen, um ihr Werk fortzusetzen. Diese Tändelei beschäftigte uns bis zum Nachtmahl. Der Gefallen, den sie daran gefunden hatte, war mir so natürlich vorgekommen, und ihre Fröhlichkeit schien so ungekünstelt, dass ich, da ich dieses überzeugende Bild nicht mit dem Plan eines finsteren Verrats in Einklang bringen konnte, mehrmals versucht war, ihr mein Herz zu öffnen und mich von einer Bürde zu befreien, die auf mir zu lasten begann. Doch ich hegte die ganze Zeit die Hoffnung, die Eröffnung möge von ihr kommen, und genoss meinen süßen Triumph schon im Voraus.
    Wir kehrten in ihr Kabinett zurück. Sie begann wieder, mir das Haar zu richten, und aus Gefälligkeit fügte ich mich all ihren Wünschen; da wurde ihr gemeldet, der Fürst vo n … ersuche darum, sie zu sehen. Der Name brachte mich zur Raserei.
    «Was hat das zu bedeuten?», schrie ich und stieß sie von mir. «Wer? Welcher Fürst?»
    Sie ging auf meine Fragen nicht ein. «Lass er ihn heraufkommen», wies sie kühl den Bediensteten an, und an mich gewandt fuhr sie in berückendem Ton fort: «Teurer Geliebter, du, den ich anbete, ich bitte dich um einen Augenblick Entgegenkommen, nur einen Augenblick, einen winzigen Augenblick. Tausendmal mehr werde ich dich dafür lieben. Mein Lebtag werde ich dir dafür zu danken wissen.»
    Empörung und Überraschung verschlugen mir die Sprache. Sie wiederholte ihre inständigen Bitten, und ich suchte nach Worten, um sie verächtlich abzuweisen. Doch als sie hörte, wie die Tür zum Vorzimmer geöffnet wurde, packte sie mich

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