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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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sagte der Wachsoldat, «wir wollen großmütig damit umgehen. Es wird Sie nur einen Ecu die Stunde kosten, sich mit demjenigen unserer Mädchen abzugeben, das Ihnen am besten gefällt; das ist der gängige Preis in Paris.»
    Ich hatte ihnen gegenüber Manon nicht eigens erwähnt, denn es lag nicht in meinen Absichten, sie über meine Leidenschaft aufzuklären. Sie stellten sich zunächst vor, dass es nur die Flausen eines jungen Mannes seien, die mich darauf brachten, mir mit diesen Geschöpfen ein wenig die Zeit vertreiben; doch als sie dann bemerkt zu haben glaubten, dass ich verliebt war, erhöhten sie den Tribut dermaßen, dass meine Barschaft beim Aufbruch aus Mantes, wo wir übernachtet hatten, an dem Tag erschöpft war, als wir in Pacy anlangten.
    Soll ich Ihnen sagen, was unterwegs der klägliche Gegenstand meiner Gespräche mit Manon war oder wie ihr Anblick mich bewegte, als ich von den Begleitwachen die Erlaubnis erhalten hatte, mich ihrem Wagen zu nähern? Ach, Worte geben ja niemals auch nur halbwegs die Empfindungen des Herzens wieder! Aber stellen Sie sich meine arme Geliebte vor, um die Leibesmitte angekettet, auf einer Handvoll Stroh kauernd, den Kopf matt gegen die Wand des Wagens gelehnt, das Gesicht bleich und feucht von Tränenströmen, die sich einen Weg durch die Lider bahnten, obwohl sie doch die Augen fortwährend geschlossen hielt. Sie hatte sie nicht einmal aus Neugier geöffnet, als sie den Lärm der Begleitwachen hörte, die geglaubt hatten, sie würden angegriffen. Ihre Kleidung war verschmutzt und zerzaust, ihre zarten Hände waren den Unbilden von Wind und Wetter ausgesetzt; kurz, ihr ganzes zauberhaftes Wesen, dieses Gesicht, das das Universum zu abgöttischer Liebe verleiten konnte, wirkte unsäglich entstellt und niedergeschlagen.
    Während ich neben dem Wagen einherritt, verwandte ich eine ganze Weile darauf, sie zu betrachten. Ich achtete so wenig auf mich selbst, dass ich mehrere Male beinahe gefährlich gestürzt wäre. Meine vielfachen Stoßseufzer und Klagelaute ließen sie aufblicken. Sie erkannte mich, und ich bemerkte, dass sie in der ersten Erregung versuchte, sich aus dem Wagen zu stürzen, um zu mir zu gelangen; doch durch ihre Ketten gehindert, sank sie in ihren früheren Zustand zurück. Ich bat die Wachsoldaten, aus Mitleid einen Augenblick haltzumachen; sie gewährten es mir aus Habgier.
    Ich stieg vom Pferd ab, um mich zu ihr zu setzen. Sie war so matt und so geschwächt, dass sie lange Zeit weder sprechen noch ihre Hände bewegen konnte. Diese benetzte ich indessen mit meinen Tränen, und da ich selbst nicht einen einzigen Satz hervorzubringen vermochte, waren wir beide, sie wie ich, in einer traurigen Verfassung ohnegleichen. Unsere Worte und Gebärden waren es nicht weniger, als wir schließlich die Fähigkeit zu sprechen wiedererlangt hatten. Manon sprach wenig. Es schien, dass Scham und Schmerz ihre Stimme in Mitleidenschaft gezogen hatten, so schwach und zittrig klang sie. Sie dankte mir dafür, dass ich sie nicht vergessen hatte und dass ich ihr die Freude bereitete, wie sie seufzend sagte, mich wenigstens noch einmal zu sehen und mir ein letztes Adieu sagen zu können. Doch als ich ihr beteuert hatte, dass nichts mich von ihr zu trennen vermöge und dass ich bereit sei, ihr bis ans Ende der Welt zu folgen, um für sie zu sorgen, ihr zu dienen, sie zu lieben und mein elendes Geschick untrennbar mit dem ihren zu verbinden, wurde das arme Mädchen von so innigen und so schmerzlichen Empfindungen fortgerissen, dass ich ob dieser heftigen Gemütserschütterung für ihr Leben fürchtete. Alle Regungen ihrer Seele schienen sich in ihren Augen zu vereinen, die sie fest auf mich gerichtet hielt. Zuweilen öffnete sie den Mund, doch fehlte ihr die Kraft, die wenigen Worte, zu denen sie ansetzte, zu vollenden. Gleichwohl entrang sich ihr das eine oder andere. Darin drückten sich Bewunderung für meine Liebe aus, sanfter Tadel über deren Maßlosigkeit, Zweifel, ob sie wirklich so gut gewesen sei, als dass sie in mir eine solch vollkommene Leidenschaft hätte erwecken dürfen, inständiges Flehen, um mich zu veranlassen, meinen Plan, ihr zu folgen, aufzugeben und anderwärts ein Glück zu suchen, das meiner würdig sei und das, so sagte sie, mit ihr zu finden ich nicht hoffen könne.
    Trotz dieses grausamsten aller Geschicke fand ich meine Glückseligkeit in ihren Blicken und in der Gewissheit, dass sie mich liebte. Zwar hatte ich alles verloren, was andere Menschen

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