Die Geschichte eines schoenen Mädchens
hatte. Kate hatte ihnen diese Fehltritte vergeben; mit ihrer Demenzerkrankung waren sie schon gestraft genug – außerdem stand es ihr nicht zu, den ersten Stein zu werfen. Sie selbst hatte ihrem Exmann jahrelang nur Schlechtes gewünscht.
Und Clarence war Hunderte von Meilen gefahren, umsich etwas von der Seele zu reden. Sie brauchte ihn nicht herzlich willkommen zu heißen, aber sie sollte ihn wenigstens anhören.
Er starrte auf die Fontänen. Es war ein warmer Oktobertag, doch Kate spürte die Sonne nicht.
»Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich anfangen soll«, sagte er und wischte sich die Handflächen an der Hose ab – sie hinterließen feuchte Spuren. Dann wandte er sich ihr zu. »Ich könnte verstehen, wenn Sie aufstehen und mich sitzen lassen würden, solange ich rede. Dazu haben Sie jedes Recht. Ich habe damals Dinge getan, über die ich heute entsetzt bin.«
Er holte tief Luft, dann fing er an, schnell und abgehackt zu sprechen. Er hatte die Schule gehasst und schließlich in der neunten Klasse abgebrochen, um mit seinen Freunden herumzuhängen. Hier und da hatte er sich mit Rasenmähen oder anderen Gelegenheitsarbeiten ein wenig Geld verdient, war jedoch weit davon entfernt gewesen, einen Beruf zu ergreifen; sein einziger Lebensinhalt bestand darin, sich abends mit seinen Freunden zu betrinken. Die Zeit verging, und ein Kumpel nach dem anderen schwängerte ein Mädchen, besorgte sich einen Job oder ging zum Militär. Übrig blieben nur er und Smokes. Vorher hatte er Smokes nie viel Beachtung geschenkt – der lebte schon damals in der Schule und war deshalb ein Außenseiter in der Clique. Sie hatten nie viel miteinander geredet, und Smokes war immer griesgrämig und gab sich alle Mühe, seine schlechte Laune mit Whisky hinunterzuspülen. Dagegen hatte Clarence nichts einzuwenden. Als Clarence neunzehn wurde, wiesen ihm seine Eltern die Tür. Was sollte er, der weder Talent noch Interessen hatte, tun? Am liebsten wäre ihm gewesen, ein Dach über dem Kopf und trotzdem eine gute Zeit zu haben. Er hatte die Wahl, Fabrikarbeiter oder Fernfahrerzu werden, und beinahe wäre er zu einem Bewerbungsgespräch in einer Speditionsfirma gegangen. Doch am Abend zuvor schlug ihm Smokes bei einem Barbesuch vor, in der Schule zu arbeiten. Clarence würde dort Verpflegung und Unterkunft bekommen und besser bezahlt werden als in einem anderen Job; zudem hätten sie viel Spaß miteinander. Clarence war nicht scharf darauf, sich mit Schwachköpfigen abzugeben, aber Smokes meinte, es wäre ein Kinderspiel, solange man sie spüren ließ, wer der Boss ist. Das sei einfach, erklärte Smokes weiter, denn die Irren könnten weder fühlen noch denken und seien gehorsam; bei ihnen hätten sie immer etwas zum Lachen. »Und uns kann niemand ans Bein pissen, weil mein Bruder Direktor der Schule ist.«
Lange Zeit war alles bestens. Clarence und Smokes konnten kommen und gehen, wie es ihnen gefiel, sagen und tun, was sie wollten, und jeden Tag neue Regeln erfinden, wenn ihnen danach zumute war. Sie konnten nach Herzenslust saufen, und das taten sie auch, Smokes mehr als Clarence. Clarence war dem Alkohol nicht mehr ganz so zugetan, und er hatte auch für Kautabak nichts übrig, aber er war gern mit Smokes zusammen. Clarence beneidete ihn um sein großspuriges Auftreten und die Art, wie er die Kollegen mit seinen bösen Blicken aus der Fassung brachte. Manchmal machte er das, weil sie ihn verärgert hatten, manchmal einfach nur, weil er es konnte.
»Andere dazu zu bringen, dich zu fürchten, fühlt sich gut an«, sagte Clarence zu Kate, ohne die Augen von seinen Schuhen zu wenden. »Ich kann selbst kaum glauben, dass ich das sage, aber es stimmt.«
»Mit mir haben Sie das nie gemacht.«
»Sie sind uns aus dem Weg gegangen.«
Kate hätte ihm gern erklärt, dass sie sich alle Mühe gegeben hatte, die beiden zu meiden, und dass sie oft großeLust gehabt hatte, sie zur Rede zu stellen, wenn sie Kollegen erniedrigt oder Insassen misshandelt hatten. Aber sie hatte den Mund gehalten und war oft verzweifelt nach Hause gegangen, weil sie so wenig gegen diese beiden Unholde ausrichten konnte, wenn sie ihren Job nicht verlieren wollte. »Die Hunde haben mir Angst gemacht«, sagte sie.
»Nicht nur Ihnen.« Wieder atmete Clarence durch. »Smokes hat mich auch nicht verschont. Er sagte, ich würde mich benehmen wie eine Tunte … wie ein Mädchen. Er hat mich beschimpft und seine Hunde dazu gebracht, mich anzuspringen. Erst im
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