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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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wirst das hier nicht tragen können.« Kate öffnete den obersten Knopf.
    In der ersten Nacht hatte die Schwester am Empfang gesagt, Lynnie dürfte ihre Kleidung behalten für spezielle Gelegenheiten – damit meinte sie die Besuche der Politiker, denen Onkel Luke bei einem Rundgang zeigte, wie gut die Gelder der öffentlichen Hand genutzt wurden. Lynnie wusste nicht, dass die Insassen nach der Eröffnung der Schule im Jahr 1905 bei diesen Besuchen Uniformen getragen hatten – die Jungs sahen damals aus wie Kadetten, die Patientinnen wie Dienstmädchen. Heute bekamen sie ihre eigenen Kleider, die immer ordentlich aussahen, weil sie in Schränken aufbewahrt wurden, für die die Insassen keine Schlüssel hatten. Manchmal verschwand das eine oder andere Kleidungsstück. »Niemand hat hier etwas Eigenes«, hatte Tonette ihr in der ersten Nacht erklärt. »Nicht einmal eine Zahnbürste.« Sie hatte recht gehabt. Jeden Morgen mussten sie anstehen, und eine nach der anderen putzte sich mit der einzigen Zahnbürste die Zähne.
    Lynnie spürte, wie das Kleid von ihr fiel. »Ich wünschte, du wärst davongekommen – ehrlich«, sagte Kate. Sie hakte den BH der alten Dame auf und bewunderte ihn; es war der erste BH, den Lynnie jemals getragen hatte.Der Staat hatte kürzlich Geld bewilligt, damit ein Loch in einem Scheunendach repariert werden konnte, das Gesuch für angemessene Unterwäsche war jedoch abgelehnt worden. Buddy hatte Lynnie geholfen, den BH zuzumachen.
    Was wird Kate tun, wenn sie es herausfindet? Lynnie hatte sich mächtig angestrengt, um ihren wachsenden Bauch unter den weiten Kleidern zu verbergen und nicht zu zeigen, wie sehr sie bei der Arbeit in der Wäscherei schwitzte. Andererseits hatte sie Kate in all den Jahren nichts verheimlicht. Ist sie dann böse mit mir? Wird sie es weitersagen?
    Kate zog ihr den Schlüpfer herunter.
    Lynnie stand nackt in dem kühlen Raum – vieles, was sie bisher hatte verbergen können, kam ans Licht.
    »Lieber Gott«, krächzte Kate und nahm Lynnie in die Arme.
    In dieser Nacht lag Lynnie neben Doreen in ihrem Bett und sah, wie Kate am Ende der Reihen rauchend auf und ab ging. Kate würde heute Nacht auf sie aufpassen, so dass sie sorglos schlafen, träumen und wieder aufwachen konnte. Die Nacht würde genauso unruhig werden wie jede andere, aber sie brauchte keine Angst zu haben.
    In ihrem ersten Traum hörte sie Geräusche aus den Gebäuden der Jungs. Alles fing harmlos an, wurde dann aber immer bedrohlicher, und ein Wort übertönte all die Schreie und das Ächzen. Sie nahm dieses eine Wort – »nein« – und übte es heimlich, bis es zu ihrem Wort wurde.
    Der Traum veränderte sich, als hätte sie eine Seite in ihrem Zeichenblock umgeblättert, und jetzt hatte sie nichts anderes als nur dieses eine Wort. Die Tür ging auf, und sie wich zurück, aber der Eimer fiel. »Nein, nein, nein, nein!«
    Lynnie schreckte aus dem Schlaf. »O – was …« O ja, es wurde alles zurück in ihr Inneres gespült. Als bräuchte sieeinen Beweis, blickte sie zu Kate, die auf einem Stuhl im Gang saß und ihre Zigarette anstarrte…
    In den folgenden Träumen arbeitet Lynnie in der Wäscherei. Der Trockner war kaputt, und sie schob die Wäsche in einer Rolltonne hinaus, um sie im Freien aufzuhängen. Sie stand vor der Wäscheleine, atmete den Duft von Gras, Bäumen und frisch gepflügten Feldern ein. Eine Frühlingsbrise hob ihr Hemd und erinnerte sie daran, dass in ihrem Körper etwas wuchs, etwas, was in einer Nacht entstanden war, in der sie mit ihrem »Nein« nichts hatte ausrichten können. Allmählich verstand sie. Während sie die Wäsche auf die Leine hängte, hörte sie einen tuckernden Motor und ein Händeklatschen. Sie schaute sich um. Ein Traktor kam näher, und am Steuer saß ein farbiger Mann mit Strohhut. Sie hatte ihn schon öfter bei Reparaturarbeiten gesehen oder dann, wenn er Mais in die Küche brachte. Einmal hatte sie beobachtet, wie er ein Grab aushob. Jetzt saß er lächelnd auf dem hohen Sitz und klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich.
    Mädchen und Jungs durften sich hier in der Schule nicht nahekommen, zumindest nicht, wenn sie jemand beobachten konnte. Sie schaute sich um. Kein Mensch weit und breit.
    Der Mann machte Zeichen mit den Händen. Sie verstand: Komm, steig auf . Sie stellte den Korb mit den Wäscheklammern auf den Boden. Er reichte ihr die Hand herunter und zog sie neben sich. Als sie saß, kramte er in seiner Tasche und beförderte erst eine,

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