Die Geschichte eines schoenen Mädchens
sie, wie angespannt sie gewesen war.
Don beugte sich vor. »Ehrlich gesagt, ich habe einige Erfahrungen mit dieser Schule gemacht.«
Martha stutzte.
»Sie erinnern sich vielleicht, dass ich ein Priesterseminar besucht habe. Na ja.« Er schüttelte den Kopf. »Jedenfalls habe ich gleich nach meinem Abschluss als Kaplan in der Einrichtung gearbeitet.«
»Das wusste ich nicht.«
»Ich habe Gottesdienste abgehalten, aber das Personal brachte kaum jemanden hin, so dass ich nach einiger Zeit nur noch die Runde durch die Gebäude machte und mit den Insassen redete. Das war aufschlussreich … und beunruhigend. Irgendwann ertrug ich das nicht mehr und ich habe Eva klargemacht, dass ich lieber den Laden übernehme.«
»Das war keine leichte Entscheidung für uns«, ergänzte Eva, »aber die richtige.«
»Ich habe eine Vermutung, warum Lynnie will, dass Sie ihr Baby verstecken. Manchmal nehmen staatliche Ämter Eltern, die sich als ungeeignet erwiesen haben, die Kinder weg, und die Kinder werden dann in diese Schule gesteckt. Lynnie hat wahrscheinlich gefürchtet, dass mit ihrem Kind das Gleiche geschehen würde.«
Martha wandte ein: »Aber Lynnie wäre da gewesen, um ein Auge auf die Kleine zu haben.«
»Das bezweifle ich. Säuglinge leben getrennt von den Erwachsenen. Möglicherweise hätte sie ihre Tochter nie wiedergesehen.«
Der letzte Satz hallte in Martha wider. Es entstand ein langes Schweigen. Dann drückte Martha das Baby an sich und strich über das Köpfchen, wie Eva es ihr gezeigt hatte. Sie fühlte den Atem an ihrer Brust.
Schließlich sagte sie: »Ich bin zu alt, um für einen Säugling zu sorgen. Soll ich zu der Schule gehen und versuchen, Lynnie herauszubekommen?«
Eva und Don wechselten einen Blick. »Sie würden Lynnie niemals an Sie herausgeben«, sagte Don. »Sie sind weder mit ihr verwandt noch eine Amtsperson, und Sie haben keinerlei Beziehung zu ihr.«
»Aber ich kann das Kind nicht hier in der Gegend in die Obhut anderer übergeben. Was, um alles in der Welt, soll ich tun?«
Minutenlang sagte niemand etwas. Dann stand Eva auf, ging zur Küchenzeile und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie schaute aus dem Fenster und sagte: »Erinnern Sie sich, was Sie uns im Kunstunterricht beigebracht haben? Sie sagten: ›Folgt euren Neigungen und eurer Intuition. Das wird euch zu Ideen führen, von denen ihr bis dahin nichts geahnt habt.‹«
Martha hatte nicht vergessen, dass sie genau das Jahr für Jahr in jeder Klasse gesagt hatte. Das war das Gegenteil von Vorausplanung. Es war der wenig ausgetretene Pfad.
»Ich habe das nie vergessen«, fuhr Eva fort. »Auch wenn es mir bei den Tests nicht viel geholfen hat.« Sie lächelte. »Aber wenn ich vor meinem Zeichenblock sitze oder mit Glitter und Stoffen arbeite, überzeugt es mich, dass ich fähig bin, etwas Schönes zu erschaffen.«
Martha schmunzelte, schmiegte die Wange an den Bauch des Kindes und sog den süßen Duft ein. Er erinnerte sie an Milch und Honig. Wunderbar.
Sie sah auf. »Ich wünschte nur, ich wüsste, wie meine nächsten Schritte aussehen könnten.«
Eva warf einen kurzen Blick auf ihren Mann. »In diesem Punkt können wir Ihnen helfen.«
In der Abenddämmerung brachen sie auf. Don steuerte den ersten Wagen – Marthas Buick. Martha und das Kind fuhren mit dem Dodge, den Don am Nachmittag gebraucht gekauft hatte. Der Autohändler befürchtete, dass er in den nächsten Tagen bei den vielen gesperrten Straßen nicht viel Geschäfte machen würde, und war froh, mit Don handelseinig zu werden, insbesondere, nachdem er erfahren hatte, dass das Auto für eine junge Familie, die fünfzig Meilen entfernt wohnte, gedacht war. Die Nachhut des kleinen Konvois bildete Eva mit ihrem Sohn Oliver in dem Ford-Kombi der Hansberrys. Oliver hatte sich bereit erklärt, auf Marthas Farm zu arbeiten, bis Martha zurückkehrte.
»Wann wird das sein?«, wollte der Junge wissen, als er einen Mantel über sein Fußballtrikot zog.
»Bald«, sagte Don.
»In einer Weile«, sagte Eva.
»Ich weiß es nicht«, sagte Martha.
Alle lachten.
Während Don den Wagen kaufte, schrieb Eva die Einträge aus Marthas Adressbuch ab und gab Martha ein paar Hinweise zur Kinderpflege. Dann lief sie zum Blumenhändler. Sie hatten beschlossen, dass sie vier Blumen brauchten.
Die Sonne war untergegangen, sobald sie die Stadtgrenze hinter sich ließen. Der Mond stand am Himmel, als sie zur Old Creamery Bridge gelangten, die am Spätnachmittag wieder geöffnet worden
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