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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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Häusern, an denen sievorbeigekommen waren, den Kopf schüttelte, bis sie das Gefühl hatte, das richtige gefunden zu haben. An die erste gemeinsame Fahrt mit dem Traktor, zu der er das schöne Mädchen mit den Händen überredet hatte. An ihre Hände, die versuchten, seine Gesten zu kopieren. Und das nach so vielen Jahren in diesem Knast, in dem er nur ignoriert, verlacht oder herumkommandiert worden war. Die Einzigen, die in der Einrichtung sonst noch versucht hatten, sich mit ihm durch Gebärden zu verständigen – ein Offizieller, dem er nur einmal begegnet war, und ein Mann, der dasselbe Schicksal wie er teilte –, kannten die Gesten nicht, und als er ihnen zeigte, wie man sie richtig machte, sahen sie ihn verständnislos an. Aber auf dem Traktor beobachtete das schöne Mädchen jede seiner Handbewegungen ganz genau. Sie runzelte konzentriert die Stirn, bis sich ein anerkennendes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete.
    Doch das schöne Mädchen kannte seinen Namen nicht – das machte ihn unendlich traurig.
    In der Einrichtung, die er den Knast hinter den Steinmauern nannte, war er ein John Doe, ein Mensch ohne Identität. Um genauer zu sein – er war der zweiundvierzigste John Doe in dem System, aber davon wusste er nichts. Er konnte zählen, das hatte ihm seine Mama beigebracht. Es gab zwei Zimmer in ihrer Hütte, vier Himmelsrichtungen und sieben Geschwister; zehn silberne Scheiben waren so viel wie ein grünes Rechteck, und zwölf Häuser standen in dem Tal, in dem sie lebten. Seit er in dem Knast lebte, war der Zirkus dreiundzwanzig Mal in die Stadt gekommen. Seit der letzten Aussaat wusste er, dass er zweiundvierzig Atemzüge brauchte, um den Weg von der Traktorscheune zum Büro der Rothaarigen zu kommen, in dem das schöne Mädchen wartete. Seither war zweiundvierzig seine Lieblingszahl. Aber ihm wäre im Traum nicht eingefallen, dass sie auch sein Namesein könnte. Er hatte seine Akte nie gelesen. Er hatte nie irgendetwas gelesen und nie eine Schule besucht.
    Nur er kannte seinen echten Namen.
    Seine Mutter hatte ihn erfunden, nachdem die Hebamme gegangen war. Mama dachte an Brieftauben – homing pigeons – und hoffte, der Name würde eine Botschaft an seinen Daddy schicken und ihn aus dem Haus der anderen Frau zu seiner Familie zurückholen. Aber das Wortspiel verfehlte seinen Zweck, und als er die ersten Zähne bekam, musste Mama mit ihnen zu ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder Bludell, den alle nur Blue riefen, ziehen. Nach dem Fieber gingen seine eigenen Geschwister auf Abstand zu ihm, weil sie fürchteten, er könnte sie mit seiner Taubheit anstecken, aber Blue dachte sich ein Zeichen für Homans Namen aus, und wann immer Homan jemanden neu kennenlernte, machte er das Zeichen und sagte gleichzeitig: HO mun . Die anderen lachten nur und schüttelten die Köpfe, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank. Bald wurde Homan wie das schöne Mädchen zu zwei Persönlichkeiten – die wahre versteckte er in seinem Inneren, die andere zeigte er nach außen, und alle glaubten, dass er wirklich so war.
    Eine einzelne Chrysantheme schwamm den Fluss hinunter. Vor Homan befand sich ein Betonfundament, auf dem ein Lagerhaus mit eingeschlagenen Fensterscheiben stand. Das war einer der Orte, die Gesetzesbrecher anzogen: minderjährige Biertrinker, Soldaten, die kurz davor waren, in den Krieg zu ziehen, mit ihren endlich nachgiebigen Mädchen, Hippies. Und ein verzweifelter, total erschöpfter Mann, der bei Tagesanbruch auf einer Tür angeschwemmt wurde.
    Homan wollte gleich losgehen, sobald er wieder zu sich kam. Aber er lag auf der Seite, und als er die Augen aufschlug,sah er, dass ein Mann und eine Frau neben ihm standen. Er spürte einen Schlag am Bein und begriff, dass ihn der Mann mit dem Fuß anstieß, als wollte er prüfen, ob er noch am Leben war. Die Morgensonne stand hinter ihnen, deshalb sah er ihre Gesichter nicht, aber wenigstens wusste er jetzt, wo Osten war – nach Osten musste er gehen, um zum schönen Mädchen zu gelangen.
    Es erschien ihm als gute Idee, erst einmal eine Bestandsaufnahme seiner Umgebung zu machen, ehe er sich bewegte. Das hieß auch, dass er das Pärchen genauer in Augenschein nahm. Blue hatte ihm eine Regel beigebracht, als er noch hören konnte: Du musst immer genau wissen, mit wem du in den Ring steigst.
    Ihre Frisuren und die Gesichtsformen verrieten ihm, dass sie weiß waren. Die Frau war dünn und hatte langes, lockiges Haar wie eine Lady, die er einmal im Fernsehen

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