Die Geschichte eines schoenen Mädchens
war. Nach dem Überqueren der Brücke bogen sie in das Pfadfindercamp ab.
Der Fluss hatte nach wie vor Hochwasser. Oliver leuchtete ihnen mit einer Taschenlampe den Weg zum Steg, woDon zum ersten Mal seit Jahren seine geistliche Ausbildung nutzte, seine kleine Gemeinde durch den dreiundzwanzigsten Psalm führte und einem Mann, dessen Leichnam vielleicht nie gefunden wurde, die letzte Ehre erwies.
Martha spürte wieder das Herz des Babys an ihrer Brust, als alle sagten: »Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.« Sie konnte verstehen, dass diese Worte Eva und Don viel bedeuteten, dennoch fragte sie sich unwillkürlich, ob es einen Gott geben konnte, wenn die Menschen andere so behandelten wie diesen Mann, wenn Lynnie gezwungen war, an einem so grässlichen Ort zu leben, und dieses Kind zu einem Leben der Entbehrung verdammt war.
Nach dem Gebet warfen alle je eine Chrysantheme ins Wasser, die Eva verteilt hatte.
Sie umarmten sich, ehe sie in die Autos stiegen und das Camp verließen. Martha fühlte sich seltsam und ahnte, dass sie wieder das Flüstern der Veränderung spürte: Sie war nicht die Person, für die sie sich noch in der letzten Nacht gehalten hatte.
Sie setzte den Blinker und bog nach Norden ab, die anderen fuhren geradeaus weiter und winkten zum Abschied.
Der mit den
Händen redet
1968
Nummer Zweiundvierzig ahnte nicht, dass an diesem Novemberabend Gebete für ihn gesprochen wurden und Martha mit dem Baby und den Hansberrys seinen Tod mit einem Psalm und Blumen bedachten.
In der Nacht zuvor hatte er vorgehabt, denselben Weg einzuschlagen, den nun die Chrysanthemen nahmen, die flussabwärts schwammen und tanzten wie die Damenhüte, die er und sein Onkel Blue von einem Pecanobaum aus bei einem Erweckungsgottesdienst beobachtet hatten. Der Damm wartete darauf, die Blumen in seinen Strudel zu ziehen gerade wie Nummer Zweiundvierzig am Tag zuvor – Marthas Vermutung war richtig. Aber sie konnte nicht wissen, dass er schon einmal, als Blue ihn zum Fischen mitnahm, gesehen hatte, was Dämme bewirken konnten. Damals hatten sie zugeschaut, wie ein Waschbär in einem dieser Strudel unterging und nicht mehr imstande war, dem Sog zu entkommen. Ebenso wenig konnte die alte Lady wissen, dass ihm, als er von der Strömung an die Betonmauer des Dammes gedrückt wurde und in einen Wasserwirbel geriet, die Panik und die Entschlossenheit ungeahnte Kräfte verliehen. Er musste das schöne Mädchen, das sein Herz geöffnet hatte, und die Kleine, die sich so vollkommen in seinen Armen angefühlt hatte, unbedingt wiedersehen. Er kämpfte mitBeinen und Armen gegen die Strömung an, trotzdem wurde er ein zweites Mal in die Tiefe gedrückt. Er verlor das Jackett, die Hemdknöpfe platzten ab. Mit brennender Lunge tauchte er ein drittes Mal in den Strudel, während er an all das dachte, was er überlebt hatte, um der Freiheit so nahe zu kommen. Es war grausam, dass er auf diese Weise untergehen sollte. In diesem Moment fiel ihm der Waschbär wieder ein. Er und Blue hatten überlegt, was ein Mensch in seiner Lage tun würde, und jetzt stellte er ihre damalige Vermutung auf die Probe. Er drückte das Kinn auf die Brust, zog die Knie an und schlang die Arme um die Beine – und das Wasser schoss ihn wie eine Kanone eine Kugel aus dem Strudel. Er flog am Ufer entlang, die Arme an den Seiten, die Beine ausgestreckt, bis er endlich an die Wasseroberfläche kam – an derselben Stelle, an der einen Tag später die Blumen aus der Tiefe auftauchten.
Er versuchte, ans Ufer zu schwimmen, doch die Strömung trieb ihn unaufhaltsam weiter, vorbei an dem zerbrochenen Eisenzaun, der die Grenze des Pfadfindercamps markierte, unter die Old Creamery Bridge. Irgendwann wurde der Fluss breiter. Meilen lagen hinter ihm, als er in ein Gewerbegebiet mit Schrottplätzen, Fabriken und Mühlen kam. Dort entdeckte er im reißenden Wasser eine schwimmende Tür. Er hievte sich auf die Holzplatte. Erschöpft und ausgelaugt hielt er sich daran fest, trieb hilflos unter Brücken hindurch, an Flutmauern vorbei in den nächtlichen Schein einer Stadt. Wieder, sagte er sich; in seinen Gedanken hatten die Worte den Südstaatendialekt, den er vor dem Fieber gesprochen hatte. Ich kann es nicht fassen. Wieder auf der Flucht.
Er zwang sich, an schönere Dinge zu denken. An die Kleine, die im Mondlicht in einem Korb schlief. An das schöne Mädchen, das bei den ersten
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