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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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zum Dock nach Norden und dann in Richtung Osten laufen. Er hatte keine Ahnung, wie weit er kommen würde oder ob ernicht ein gutes Stück flussaufwärts schwimmen musste, aber er hatte schon beschwerlichere Reisen überstanden.
    Er stand auf – sein Bein knickte ein.
    Das Pärchen wirbelte zu ihm herum. Er schaute an sich herunter. Seine Hose war zerrissen, und Blut klebte an dem Bein darunter. Voller Entsetzen realisierte er, dass er mit dem verletzten Bein die vielen Meilen, die ihn von dem schönen Mädchen trennten, hinkend zurücklegen musste, und im Augenblick war er kaum fähig, aufrecht zu stehen.
    Die Getupfte sah Pudding mit flehendem Blick an. Der schüttelte den Kopf, aber das Mädchen ließ sich nicht beirren. Sie fuhr mit den Fingern durch das zerzauste graubraune Haar ihres Freundes und nahm die Schärpe ab, um ihm damit den Schaum vom Mund zu wischen. Sein Blick wurde sanfter. Dann legten beide die Arme um Homan und stützten ihn auf dem Weg zum Picknicktisch.
    Sie sind keine Bedrohung , überlegte Homan. Warte einfach ab, bis du die Gelegenheit hast, dich aus dem Staub zu machen.
    Das Mädchen lief zum Auto, und Pudding setzte sich an den Picknicktisch mit den Suppendosen und dem Rasierschaum. Er nahm etwas Langes, Flaches in die Hand und ließ es um den Finger kreisen – ein Messer. Pudding beobachtete Homan aus den Augenwinkeln, um sich zu vergewissern, dass er alles mitbekam. Dann stieß er die Messerspitze in die Holzplatte.
    Die Getupfte kam mit ängstlicher Miene zurück und legte ein paar Dinge auf den Tisch: eine Papiertüte, eine braune Glasflasche und eine weiße Schachtel mit einem roten Kreuz darauf. Dann nahm sie ein Sandwich aus der Tüte, öffnete die Flasche und reichte beides an Homan weiter. Er zögerte. Aber sie lächelte aufmunternd. Das Sandwich schmeckte gut, das Getränk nicht – es sprudelte und war bitter wie das Zeug, das der Wärter mit den Hunden jeden Tag trank. Aber Homan hatte großen Durst.
    Das Mädchen kauerte sich neben ihn und säuberte mit einem feuchten Tuch seine Wunde.
    Währenddessen löffelte Pudding eine Suppe. Als die Dose leer war, zog er das Messer aus dem Holz. Das war ihr Zeichen, vermutete Homan, weil die Getupfte sofort das Tuch weglegte, zu ihrem Freund eilte und sich rittlings auf seinen Schoß setzte. Sie nahm ihm das Messer aus der Hand und strich mit der Klinge den Rasierschaum von seinen Wangen, den sie immer wieder an der Kante der Bank abwischte.
    Homan aß sein Sandwich auf und beobachtete die Vorgänge. In den letzten dreiundzwanzig Jahren musste sich die Welt drastisch verändert haben. Frauen rasierten die Männer bei helllichtem Tag und in aller Öffentlichkeit!
    Sobald die Getupfte fertig war, stieß Pudding das Messer wieder in den Tisch. Sie gab ihm einen saftigen Kuss, und er zog sie fest an sich. Homan wandte sich ab. Er wünschte, er würde sich gut genug fühlen, um in den Fluss zu springen. Wenn er wenigstens Karten lesen könnte! Die eine Landkarte, die er bei den McClintocks betrachtet hatte, hatte ausgesehen wie ein springender Rehbock.
    Plötzlich war er hundemüde. Er legte den Kopf auf die Tischplatte. Noch immer hatte er den bitteren Geschmack des Getränks im Mund, und seine Zunge fühlte sich dick und pelzig an. Die Getupfte stand auf, kam zu ihm, machte die Geste für schlafen und deutete auf das Auto. Er ließ sich über den Parkplatz führen. Später, wenn er auf diese Wendung im Fluss seines Lebens zurückblickte, konnte er nicht glauben, dass er das widerliche Gebräu, ohne nachzudenken, in sich hineingeschüttet oder der Schläfrigkeit so schnell nachgegeben hatte.
    Im Auto stank es nach Moder und Kartoffelchips. Er musste daran denken, wie gern das schöne Mädchen Gerüche einsog, aber nur die angenehmen – wie die nachPinienzapfen und die würzige Luft vor einem Regen. Einmal hatte er eine süß duftende weiße Blüte von einem Magnolienbaum gepflückt und sie versteckt, bis sie sich wiedersahen und er sie hinter ihr wunderschönes Ohr stecken konnte.
    Die Getupfte schob die Kleider auf den Boden, dann warf sie Homan einen Schlafsack und ein Kissen zu.
    Leg dich einfach ein paar Minuten hin , sagte er sich, während das Pärchen zum Lagerhaus schlenderte. Pudding zog seine Lederjacke aus, die Getupfte ihren Pelzmantel. Als die Sonne höher wanderte und das Pärchen immer noch nicht zurückkam, erinnerte er sich, wie gut das Haar des schönen Mädchens mit der Blume gerochen und wie er sein Gesicht in dem Duft

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