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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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Althergebrachtes und Langmut neue Entdeckungen möglich machten. Jetzt jedoch bekam sie ein neues Verständnis für die Wiederholungsleser. Nicht die zweite Lektüre ein und desselben Buches rief neue Erkenntnisse hervor – es lag an dem Leser selbst; mit jeder Veränderung der innerlichen Einstellung entdeckte er neue Dinge.
    Ihr war bewusst, dass sie sich völlig untypisch verhielt, als sie mitten am Vormittag noch einmal unter die Bettdecke schlüpfte.Ein Klopfen, nicht das Baby, weckte sie am nächsten Morgen.
    Sie setzte sich auf und warf einen Blick in den in Morgenlicht getauchten Korb. Die Kleine schlief. Was für ein unkompliziertes Kind , dachte Martha und musste über sich selbst lachen, weil sie sich einbildete, zu wissen, wovon sie sprach. Wieder das Klopfen.
    Eine Männerstimme ertönte. »Mrs. Zimmer?«
    »Einen kleinen Moment noch«, flüsterte sie zurück.
    Sie schlüpfte in ihre Schuhe und machte sich auf den Weg zur Tür. Sie realisierte, dass sie dasselbe Nachthemd wie gestern trug und in ihrem Aufzug nicht gut Besuch empfangen konnte. Verlegen öffnete sie die Tür einen kleinen Spalt und stellte sich so hin, dass man nur ihren Kopf sah.
    Henry stand im Flur. Für sie war er immer noch ihr Schüler, auch wenn er nicht mehr zehn Jahre alt war. Henry war ein Mann mit breitem Brustkorb und dunklen Haaren. Doch auch nach all seinen Abenteuern, die er ihr in Briefen geschildert hatte, und nachdem ihr seine Frau und er letztes Jahr an Weihnachten erzählt hatten, dass sie kurz davor waren, ein renovierungsbedürftiges Resort im Staat New York zu kaufen, erinnerte er sie immer noch an den energiegeladenen Jungen, der er gewesen war. Er stand vor der Tür, balancierte ein Tablett auf einer Hand und grinste.
    »Zimmerservice«, verkündete er munter. »Eine Empfehlung des Hauses.«
    Martha lächelte, öffnete aber die Tür nicht weiter. Sie hätte es gern getan – der Speck, die Eier und der Toast dufteten verlockend –, aber sie hielt sich zurück, weil sie nicht daran gewöhnt war, sich im Nachthemd zu zeigen. »Sehr lieb von dir, Henry. Aber das ist nicht nötig.«
    »Ganz im Gegenteil«, erwiderte Henry. »Meine Lieblingslehrerintaucht mitten in der Nacht in meinem Hotel auf, meine Kinder sind ganz aus dem Häuschen, weil sie unbedingt von ihr hören wollen, wie ihr Papa als Junge gewesen war, aber sie lässt sich nicht einmal zu den Mahlzeiten blicken. Sie hat ihre Großnichte bei sich, aber sie setzt eineinhalb Tage keinen Fuß vor die Tür – sagen Sie mir, dass Sie an meiner Stelle auch befürchten würden, dass Sie verhungern.«
    Wie konnte sich ein anderer Gedanken um sie machen, wenn sie selbst nicht an sich dachte? »Du hast recht. Ich vermute, ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.«
    »Ich liege Graciela schon seit gestern in den Ohren: Wir sollten nach ihr sehen, ihr etwas zu essen bringen, bla, bla, bla. Graciela riet mir eindringlich, Sie in Ruhe zu lassen, aber ich fand, dass wir etwas unternehmen müssen …«
    »Tut mir leid, dass ich solche Umstände verursacht habe.«
    »Was für Umstände? Dies sind die Gerichte von unserer ganz normalen Frühstückskarte. Natürlich müssen Sie sich nicht hier in Ihrem Zimmer verschanzen. Meine Kinder lungern alle dort hinten herum – «, er deutete mit dem Kopf zum Ende des Flurs, und Martha hörte ein Kichern, » – und sie würden alles darum geben, mit Ihnen im Speiseraum an einem Tisch zu sitzen.«
    »Dafür bin ich nicht angezogen.«
    »Unsinn, kommen Sie, wie Sie sind. Sie kriegen alles, was auf der Karte steht, und Graciela wird Ihre Bestellung bevorzugt behandeln. Nicht, dass es irgendeinen Konkurrenten gäbe. Wir sind immer noch dabei, uns einen Kundenstamm aufzubauen.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir haben hier alle möglichen Attraktionen. Meine Kinder. Die Malerarbeiten, die ich im Spielzimmer verrichte. Die Waschmaschine. Zufällig bin ich ein umsichtiger Ehemann und Vater und weiß, wie schnell sich schmutzige Windeln anhäufen.«
    Als wäre es nicht schon peinlich genug, im Nachthemd erwischt zu werden! Ans Windelwaschen hatte sie nicht einmal gedacht. Bestimmt stank es in ihrem Zimmer bestialisch. Sie brachte kein Wort heraus.
    »Graciela hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass sie Ihnen gern aushelfen würde. Wändestreichen ist nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung. Wenn Sie schon im Zimmer bleiben wollen, geben Sie mir wenigstens die gebrauchten Windeln mit – meine Frau wird sich darum kümmern, und wir

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